Nennen Sie es Ausschlachtung Anna Blume ist die Stimmung, direkt vor und direkt nach dem Zubettegehen.
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- Kurt Schwitters, nach: 113 DADA Gedichte. Hg. Karl Riha. Berlin 1982
Ausschlachten (2) »Hilf mir«, sagte
er. Ich nickte mit dem Kopfe, wollte stammeln, ich verstände ja nichts und stellte
mich neben ihn. Vor den fetten Leichnam, dei wie gedunsen aussah. Die Eutcrzitzen
waren rot und spitz. Die Haut war sehr bleich. Haakon sagte mehrmals: »So.«
Dann begann er, von oben anfangend, den Bauch zu spalten. Kr machte es vorsichtig.
Schnitt nicht tiefer als die Dicke der Haut ausmachte. Es war eine Linie von
den Schenkeln bis zum Halse entstanden. Es war eine mehr weiße als rote Linie.
Er gab mir ein Messer in die Hand, daß ich es für ihn bereit halte. Er durchschnitt,
wieder von oben beginnend, die Fettschichten, bis eine graurosa Darmwindung
hervorquoll. Tch mußte die Augen auf einen Augenblick schließen. Seine Hände
zogen mich wieder an. Er benutzte seine Finger als Leitmaß für das Messer, das
nun schnell und ohne große Behutsamkeit die Bauchhöhle gänzlich öffnete. Das
Innere des Körpers drang dämpfend hervor. Es war mir alles sehr neu und sehr
widerwärtig. Er nahm mir das Messer aus der Hand und befahl mir, die Eingeweide,
die hervorschauten, hochzuhalten. Ich tat, was er mir geheißen. Ich war willenlos.
Meine Hände berichteten mir nicht, was sie fühlten. Ich sah nur, daß er unmittelbar
unter meinen Händen schnitt und danach mit einem kurzen scharfen Beil Knochen
voneinander trennte. Während dies geschah, töteten der Onkel, die Mamsell, die
Knechte das zweite Schwein. Haakon hatte die Eingeweide gelöst. Ich mußte sie
auf einen bereitstehenden Tisch tragen. Er erklärte mir manches. Ich mußte die
Leber und die Lunge und das Herz erkennen. Es war ein magenformiges Gebilde
darunter, das doch der Magen nicht war. Auch die Blase war es nicht, denn ich
hatte gesehen, wie er sie abgeschnitten hatte; und daß ein wenig Harn über den
zerstörten Leib geflossen war. Da sah ich, er zählte an dem Gebilde mit den
Fingern. »Vierzehn«, sagte er. Ich blickte ihn betroffen an. »Schau her«, fuhr
er fort. Er schnitt ein wenig an dem Organ. Plötzlich floß Wasser ab. Im
Wasser schwamm ein kleines Schwein, ähnlich einer Ratte. Er zog an einem langen
Strang, hielt ihn hoch, mir sehr nah unter die Augen. Ich erkannte, er hatte
die Gcschlechtsöffnung ausgeschnitten. Ich war daran, die Haltung zu verlieren.
Ich suchte in seinen Augen. Er lachte mich an. Sein Lachen tröstete mich und
bezwang mich. Mit wen-ig Schnitten breitete er die vierzehn toten Jungen vor
mich hin. Das Organ war nun zerstört. »Vierzehn«, rief Haakon über den Hof.
Die Mamsell Eystina kam. Die Knechte kamen. Der Schlachter kam. »Ein gutes Mutterschwein«,
sagten sie. Dann nahmen sie die toten, unausgewachsenen Jungen und das Organ
und trugen alles fort zur Dunggrube. - Hans Henny Jahnn, Perrudja. Frankfurt am Main
1966 (zuerst 1929)
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