Amerikaner, rätselhafter     Brunner war Autodesigner und in Detroit beschäftigt. In der ersten Woche seines Aufenthalts in Neapel verhielt er sich musterhaft, morgens ging er ins Solarium, abends zu den Brüdern Vittorini, mit Ausnahme der Sonntage, die er Ausflügen in die weitere Umgebung widmete. Die Strecken wurden festgestellt, weil sie alle von einem Reisebüro veranstaltet worden waren, dessen Filiale sich im >Savoy< befindet. Er war in Pompeji, in Herculaneum, er badete nicht im Meer, weil der Arzt ihm das verboten hatte, denn er litt an Nierensteinen. Den bereits bezahlten Ausflug nach Anzio machte er am Samstag vor dem festgelegten Datum rückgängig, und auch die beiden Tage davor benahm er sich eigenartig. Er wollte nicht mehr zu Fuß gehen und verlangte, selbst wenn es nur drei Straßenecken waren, seinen Wagen, was Mühe machte, da der neue Parkplatz des Hotels noch im Bau war und die Autos der Gaste sich auf dem Hof des Nachbargrundstückes drängten. Brunner wollte sein Auto nicht selbst von dort holen, sondern verlangte, jemand vom Hotelpersonal solle es herbeischaffen, in diesem Zusammenhang kam es zu einigen Schwierigkeiten. Am Sonntag unternahm er keinen Ausflug und kam auch nicht zum Essen herunter. Er bestellte es sich auf das Zimmer, und kaum war der Kellner eingetreten, stürzte er sich auf ihn und würgte ihn. Während das Handgemenges brach er dem Kellner einen Finger und sprang dann aus dem Fenster. Beim Sturz aus demzweiten Stock brach er sich ein Bein und das Becken. Im Krankenhaus stellte man außer den Brüchen eine Bewußtseinstrübung auf schizophrener Grundlage fest. Die Hotelleitung war aus verständlichen Gründen bemüht, den Zwischenfall zu vertuschen. Aber gerade dieser Zwischenfall brachte die Präfektur nach Coburns Tod auf die Idee, man müsse den Untersuchungsbereich erweitern. Es ergaben sich Zweifel, ob Brunner tatsächlich aus dem Fenster gesprungen sei oder ob er hinausgestoßen wurde. Doch kam nichts zutage, was gegen die Redlichkeit des Kellners gesprochen hätte, der ein älterer, unbescholtener Mann war.

Brunner verblieb weiter im Krankenhaus; seine Bewußtseinstrübungen besserten sich zwar, doch kam es zu Komplikationen beim Zusammenwachsen des Hüftknochens, und ein Verwandter, der aus den Staaten kommen sollte, um ihn abzuholen, verschob ständig die Reise. Am Ende bestätigte ein hervorragender Spezialist den durch eine Psychose ungeklärter Ätiologie hervorgerufenen schweren Anfall von Unzurechnungsfähigkeit, und die Untersuchung blieb ohne Ergebnis.  - Stanislaw Lem, Der Schnupfen. Frankfurt am Main 1979

Amerikaner, rätselhafter (2)  Der zweite Amerikaner, Adam Osborn, ein alter Junggeselle, der Bildung nach Volkswirt, fuhr am fünften Juni mit einem Mietwagen der Firma Avis von Neapel nach Rom, verließ aber das Hotel in solcher Eile, daß er allerlei persönliche Kleinigkeiten vergaß: den Rasierapparat, ein paar Bürsten, einen Expander, die Hausschuhe; um ihm diese Sachen nachzusenden, rief man vom >Savoy< das Hotel in Rom an, in dem Osborn sich ein Zimmer hatte reservieren lassen, doch war er nicht dort. Das Hotel forschte nicht weiter nach dem launischen Gast, und erst die auf breiterer Front geführte Untersuchung stellte fest, daß Osborn in Rom nicht angekommen war. Im Avis-Büro erfuhr der Detektiv, der gemietete Opel Rekord sei bei Zagarolo, unweit von Rom auf dem Haltestreifen der Autostrada gefunden worden, absolut fahrbereit und mit Osborns gesamtem Gepäck. Da der Opel zum römischen Park der Firma gehörte und in Rom registriert war - er hatte sich in Neapel befunden, weil ein französischer Tourist mit ihm aus Rom gekommen war -, benachrichtigte Avis die Polizei in Rom. Osborns im Wagen gefundenes Gepäck übernahm die römische Präfektur, sie führte auch die Untersuchung in diesem Fall, denn Osborn wurde im Morgengrauen des nächsten Tages gefunden - als Leiche. Ein Auto hatte ihn an der Ausfahrt Palestrina der Strada del Sol überfahren, also fast neun Kilometer von der Stelle entfernt, wo er den Mietwagen hatte stehen lassen.

Es sah aus, als sei er aus unbekanntem Grund ausgestiegen und am Rand der Autostrada entlanggewandert, bis er zu der ersten Ausfahrt gelangte; gerade dort aber hatte jemand ihn überfahren und war geflüchtet. Der Verlauf der Ereignisse konnte genau rekonstruiert werden, weil Osborn im Wagen etwas Kölnisch Wasser auf die Gummimatte verschüttet hatte. Trotz des bei Nacht gefallenen Regens verfolgte ein Polizeihund mühelos diese Spur. Osborn war am Außenrand entlanggegangen, dort jedoch, wo die Autostrada in die Hügel einschnitt, hatte er den Beton mehrfach verlassen, um den Scheitel der nächsten Erhebung zu ersteigen. Dann war er auf die Straße zurückgekehrt und weitergegangen. Auf der Ausfahrt war er in weitem Zickzack wie ein Betrunkener über die Fahrbahn getaumelt, überfahren worden und sogleich an Schädelbruch gestorben.  - Stanislaw Lem, Der Schnupfen. Frankfurt am Main 1979

US-Amerikaner Rätsel


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