wischenzustand  MANGANELLI Auch in uns sind Steine...

GAUDÍ Gewiß, gewiß. Sie glauben, daß aus Steinen Menschen werden, nicht wahr? Beinahe ist es so. Sehen Sie, die Steine, die sich in ihrem steinernen Zustand verspäten, treiben sich in irgendeiner Weise in ihrer Verdammnis herum: sie zerteilen sich, sie zerfallen, sie krümmen und winden sich und kommen nie aus ihrem Zustand heraus: solche Steine sind, moralisch betrachtet, ein wenig minderwertig, aber nicht sehr; jedenfalls leiden sie unter ihrer Unfähigkeit, ihr Steinsein zu beenden. Sie verstehen?

MANGANELLI Ich weiß nicht recht.

GAUDÍ Aber das ist doch ganz einfach, mein Lieber. Die Steine, die nicht sterben noch sich kraft ihrer stummen und täglichen geistigen Übungen verwandeln, befinden sich gleichsam in einem Leben, das nach Hölle schmeckt und doch nicht die Hölle ist, weil es der Würde der Ewigkeit entbehrt. Gepeinigt von ihrer eigenen Niedrigkeit, wuchern diese Steine in bizarren Formen: sie dehnen sich, verschlingen sich, Löcher reißen in ihnen auf, sie verfinstern sich - die manisch-depressiven Felsen - zu Schluchten, recken sich - die Megalomanen - zu Bergspitzcn auf, die Narzißten polieren sich unaufhörlich . . .

MANGANELLI Ihre Häuser sind also ...

GAUDÍ Warten Sie. Wenn ein minderer Stein eine solche Form angenommen hat, so kann er in dieser Gestalt Jahrtausende ausharren: erschöpft, verzagt oder sich selbst überlassen; vielleicht ist es auch ihre Art zu beten. Doch nun der springende Punkt: diese Steine suggerieren den anderen Steinen die Formen, die sie annehmen können. Glatte Steine verführten manch wählerischen, porösen Stein dazu, Fluß- oder Meeresstein zu werden, und diese Verquickung gab anderen die Bewegung der Algen ein, wie ein Schnittmuster aus einer Frauenzeitschrift; die Krauter wurden von Felsspalten ersonnen, die Wälder von Schluchten, und die Höhlen boten sich dem Hunger, der Furcht, der Unterwürfigkeit, der Anstößigkeit der Tiere und endlich des Menschen an, während andere, in sumpfigem Gewässer aufgeweichte Steine fliegende Ungeheuer aus ehrgeizigeren und unvorsichtigen Steinen hervorriefen. Können Sie mir folgen?

MANGANELLI Ich folge Ihnen, freilich ungläubig. - Giorgio Manganelli, Von der Unzucht mit Steinen. Antoni Gaudí y Cornet. In: Unmögliche Interviews. Berlin 1996

Zwischenzustand (2) Im wachen Zustand war ich ebenso unfestgelegt und zerrissen wie im Traume. Vor kurzem hatte ich den Rubikon des unvermeidlichen Dreißigers überschritten, hatte einen Meilenstein passiert; dem Geburtsschein, dem Äußeren nach sah ich aus wie ein reifer Mensch und war dennoch keiner - und was war ich denn? Ein dreißigjähriger Bridgespieler? Ein Zufalls- und Gelegenheitsangestellter, der kleine Lebenstätigkeiten erledigte und von Zeit zu Zeit Termine hatte? Wie war denn meine Situation? Ich verkehrte in Cafés und Bars, begegnete Menschen, mit denen ich Worte, manchmal sogar Gedanken austauschte, aber die Situation war nicht geklärt, und ich selbst wußte nicht, war ich nun ein Mensch oder ein Grünschnabel; und so war ich denn auf dem Umbruch der Jahre weder dies noch das - ich war nichts -, und die Altersgenossen, die schon verheiratet waren und feste Stellungen innehatten, nicht so sehr im Leben als vielmehr in verschiedenen Staatsämtern, behandelten mich mit einem berechtigten Mißtrauen.  - (fer)

Zwischenzustand (3)

 

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