wischenzeit Eine
Frage war, wann denn nun bei einem Sterbenden der Tod einträte: wenn er den
Todeskampf schon hinter sich hat oder auch dann schon, wenn er noch mit dem
Tode ringt? Und: wann denn nun einer aufsteht: wenn er schon aufrecht dasteht
oder auch schon, wenn er noch eben sitzt? Und: bei einem Jünger der Kunst, ab
wann gilt er als ein Künstler: erst wenn er schon voll ausgebildet ist oder
auch vorher schon während der Ausbildung?
Wie immer du dich hier festlegen magst, deine Aussage wird zum lächerlichen
Unsinn. Der allergrößte Unsinn aber wäre deine Behauptung, einer sei beides
zugleich oder keines von beiden!
Als nun aber einige dies alles zu albernen und wertlosen Fangfragen
erklären wollten, griff Taurus ein: »Verachtet mir diese Fragestellungen
ja nicht als Spielerei um Nichtigkeiten. Gerade hier haben die bedeutendsten
Philosophen ernsthaft mit ihrem Fragen angesetzt. Und zwar nahmen die einen
an, daß Begriff und Zeitpunkt des Sterbens sich sehr
wohl anwenden und festlegen ließen, wenn noch Anzeichen von Leben vorhanden
sind. Andere wiederum vermochten in diesem Zeitabschnitt keine Spur von Leben
mehr zu entdecken und überließen den gesamten Zeitraum, den man ›das Sterben‹
nennt, dem Tode. Auch bei den übrigen Beispielen sind
sie hinsichtlich der Zeiten und Begriffe verschiedener Meinung. Unser Plato
jedoch«, so fuhr Taurus fort, »rechnete diesen Zeitraum weder dem Leben
noch dem Tode zu, und ebenso verfuhr er bei jeder Auseinandersetzung über vergleichbare
Fälle.
Er bemerkte allerdings deutlich die Unstimmigkeit zwischen beiden Voraussetzungen,
auch daß im Falle vollkommener Gegensätzlichkeit nicht das eine als sicher angenommen
werden darf, solange das andere noch fortbesteht, und daß schließlich diese
Frage zurückgeht auf die Überschneidungen in den unterschiedlichen Begriffsabgrenzungen
des Todes und des Lebens. Dies veranlaßte ihn nun auch, einen neuen Begriff
für diese ›Zwischenzeit‹ anzusetzen. Er verwendete
dafür den selbstgeprägten und eigenständigen Ausdruck ›die Eigenart des Unvermuteten‹.
- (
gel
)
Zwischenzeit (2) Das Mädchen saß mir gegenüber in
der Metro, ohne mich anzusehen, der Blick verloren in die Öde dieser Zwischenzeit,
wo jeder eine Sphäre zu erforschen scheint, die nicht seine unmittelbare Umgebung
ist, ausgenommen die Kinder, die die Dinge direkt und unverwandt anblicken,
bis zu dem Tag, da man sie lehrt, sich auch ihrerseits in
Zwischenräumen aufzuhalten, zu blicken, ohne zu sehen, höflich all das zu
ignorieren, was einen umgibt, jeden Kontakt zu vermeiden, ein jeder in seiner
Luftblase, in Parenthese gesetzt, darauf bedacht, sich den kleinsten Freiraum
zwischen fremden Knien und Ellbogen zu bewahren, Zuflucht nehmend zu France-Soir
oder zu einem Taschenbuch, auch wenn fast immer einige Blicke, wie der Blick
Anas, in die Leere zwischen den wirklich betrachtbaren Dingen gerichtet sind,
in dieses neutrale, stupide Vakuum zwischen meinem Gesicht und dem des Mannes,
der in den Figaro vertieft ist. Aber dann Margrit, denn wenn ich etwas
vorhersehen konnte, so dies, daß Ana sich irgendwann geistesabwesend zum Fenster
wenden würde, und dann würde Margrit mein Spiegelbild
sehen, unsere Blicke würden sich inmitten der
Spiegelbilder dieser Fensterscheibe begegnen,
die die Dunkelheit des Tunnels mit ihrem sanften Belag überzieht, mit ihrem
dunkelvioletten, dahingleitenden Samt, der den Gesichtern ein Leben in anderen
Sphären gibt, ihnen diese schreckliche kreidige Maske nimmt, die von der Beleuchtung
des Wagens herrührt, und vor allem, o ja, du kannst es nicht leugnen, Margrit,
der sie dieses andere Gesicht in der Fensterscheibe wirklich sehen läßt, denn
im Moment des doppelten Blicks gibt es keine Kontrolle, mein Spiegelbild in
der Fensterscheibe war nicht der Mann, der Ana gegenübersaß und den Ana in einem
Metrowagen nicht ungeniert anblicken durfte, und außerdem war die, die mein
Spiegelbild betrachtete, nicht mehr Ana, sondern Margrit, in dem Moment, als
Ana rasch ihren Blick von dem Mann, der ihr gegenübersaß, abwandte, weil es
sich nicht schickte, ihn anzusehen, und als sie sich der Fensterscheibe zuwandte,
erblickte sie mein Spiegelbild, das auf diesen Augenblick gewartet hatte, um
sie leicht anzulächeln, weder unverschämt noch erwartungsvoll, sobald Margrits
Blick wie ein Vosel in den seinen stürze. - Julio Cortázar, Beleuchtungswechsel. Ertählungen Bd. 3. Frankfurt am
Main 1998
Zwischenzeit (3)