Zwieback (2) Tief über ein Buch oder über ein Präparat gebeugt, sitzt am Tisch in meinem Arbeitszimmer mein Prosektor Pjotr Ignatjewitsch, ein arbeitsamer, bescheidener, aber unglücklicher Mensch von fünfunddreißig Jahren, der bereits eine Glatze und einen ziemlichen Bauch hat. Er arbeitet von früh bis in die Nacht, liest eine Masse, erinnert sich stets ausgezeichnet an alles Gelesene und ist in dieser Hinsicht einfach kein Mensch mehr, sondern pures Gold; in jeder anderen Hinsicht aber ist er nichts als ein Lastpferd oder, um es anders zu bezeichnen, ein gelehrter Dummkopf. Die charakteristischen Züge des Arbeitsgaulcs, die diesen vom Talent unterscheiden, sind folgende: sein Horizont ist eng und scharf von seiner Spezialität abgegrenzt; außerhalb seiner Spezialität ist er naiv wie ein Kind. Ich weiß noch sehr wohl, wie ich eines Morgens in mein Zimmer trat und sagte: »Stellen Sie sich nur vor, welch ein Unglück! Man sagt, Skobelew sei gestorben!« Nikolai bekreuzigte sich, Pjotr Ignatjewitsch dagegen wandte sich zu mir und fragte: »Was für ein Skobelew?«
Ein andermal - das war ein wenig früher - teilte ich ihm mit, Professor Perow sei gestorben. Da fragte der herzensgute Pjotr Ignatjewitsch: »Was las er denn?«
Mir -scheint, wenn die Patti selber direkt vor ihm singen wollte, wenn Heerscharen
von Chinesen über Rußland hergefallen wären, wenn sich ein Erdbeben ereignet
hätte, er würde nicht mit einem Muskel gezuckt haben, sondern hätte seelenruhig
weiter mit zusammengekniffenem Auge durch sein Mikroskop geschaut. Mit einem
Wort: Was ist ihm Hekuba? Ich würde viel darum geben, zu sehen, wie dieser Zwieback
mit seiner Frau schläft. -
Anton Tschechow, Eine langweilige Geschichte.
Nach (tsch)
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