wergin Häufig ist im Tagebuch des Kardinals Richelieu die Rede von der kleinen Lavau. Damit verhielt es sich so: Die Infantin Claire-Eugenie schickte der Königin in einem Käfig eine Zwergin. Der Edelmann, der sie ihr überbrachte, sagte, es sei ein Papagei, und bot der Königin an, falls man nicht die Decke lüpfe, auf daß er nicht erschrecke, ihr von diesem Papagei in fünf oder sechs verschiedenen Sprachen ein Kompliment machen zu lassen. Und wirklich tat sie es auf spanisch, italienisch, französisch, englisch und holländisch. Man sagte sogleich: «Das kann kein Papagei sein.» Er zog die Decke weg, und man sah die Zwergin. Sie wuchs genügend, um zu einer sehr kleinen Frau zu werden, und man verheiratete sie mit einem recht großen Mann namens La Vau-Irland, der zum Gefolge der Königin gehörte. Sie wurde Kammerzofe und starb nach einigen Jahren im Kindbett.
Mademoiselle hat eine Zwergin gehabt, die kleinste, die man jemals zu
Gesicht bekommen hat. Sie war nur zwei Fuß groß und wohlgestaltet, außer
daß sie eine zu lange Nase hatte; sie machte angst.
Die mittelgroßen Puppen waren genauso groß. Ich glaube, sie ist gestorben.
- (
tal
)
Zwergin (2) Sie ist eine Zwergin mit einem sehr langen ungarischen Husarenschnurrbart, so daß sie sehr schwer von einem Mann zu unterscheiden ist. Sie heißt Jeanette Arras und ist wie geschaffen für einen Wedekindschen Dramentypus. Sie schreibt dicke Bücher über Rassenverschönerung, Freie Liebe, Homosexualität. Ihre dicken Bücher habe ich niemals gelesen, weil sie zu nenundnenuzig Prozent lediglich aus Zitaten bestehen, aber sie selbst sagte zu mir:"Man hat den Instinkt für die natürliche Schönheit verloren. Der moderne Mensch hat seinen Körper zur Krankhaftigkeit verbildet. Unser Körper hat viele Eigenschaften, die wir töteten und noch töten, so daß die allermeisten unserer von der Natur bekommenen Eigenschaften verloren gegangen sind. Die hemmungslose freie Liebe führt den Menschen zurück zu seiner Natürlichkeit."
Das Fräulein Jeanette Arras schien mir zwar nicht sehr natürlich auszusehen,
und ich erinnerte mich bei ihrem Anblick immer, daß man mir einmal erzählte,
daß es in Ungarn eine Zwergenfabrik gebe. -
(szi)
Zwergin (3) Nicolaus Federmann, Kapitängeneral, wollte sich drüben Ruhm und Ehre holen. Er wollte sich auch gegen die gierig reichen Leute aus Augsburg verteidigen, die ihn an die Spitze seiner Truppe stellten und ihm wie echte Händler nachher Übergriff vorwarfen. Stolz und fröhlich wie immer fuhr er ab. Die Zwergin, die man ihm in der venezuelischen Grassteppe geschenkt hatte, war bei ihm. Er hatte sie wie eine vornehme Spanierin, wie eine Prinzessin, angezogen. Sie stolzierte neben ihm auf dem Schiff in broschiertem Atlas von purpurner Farbe und darunter einem weiten Atlasrock mit Schleppe, am Gürtel hing ihr ein Rosenkranz aus Ze-dcrnholz, von ihrem breiten Hut fiel ein Büschel grüner und blauer Federn. So saß sie bei ihm im Schiff an der Tafel auf einem erhöhten goldbeschlagenen Stühlchen, das er in Coro für sie hatte bauen lassen. Oh, sie weinte, sie fürchtete sich vor dem Wasser und den Geistern im Sturm. Er mußte ihr erlauben, daß sie sich unter ihrem Kleid mit schützenden Farben, die sie mitgenommen hatte, bemalte, ja auch ihr kleines mutiges Gesicht, ihre feine Körperhaut beschmierte sie täglich von neuem mit Kreisen, Linien, Punkten, von denen jedes sie vor etwas anderm rettete. Und vielleicht tat es das auch. Aber gegen eins war es machtlos, gegen die Weinvorräte des Schiffes.
Fcdermann kam aus dem Feiern nicht heraus. Er riet auch allen seinen Kumpanen, Kapitäne, Lagermeister, die mit ihm gehungert und gelitten hatten in den Llanos und den Hochpässen, zu tun wie er, denn nachher kommen die Geldsäcke von Augsburg, schlagen ihre Bücher auf, Herr Scylcr und Herr Pegner, setzen sich die Brillen auf die Nase und lesen vor, und du stehst wie ein kleiner Knabe und lutschst Daumen. Man hole sich Mut! Sie tranken ein Pereat nach dem ändern auf die Schreibfüchse und veranstalteten Wettrennen in Fluchen und Verwünschungen. Die Kleine mußte die saftigsten Flüche nachsprechen und wurde gedrillt, sie wie ein Papagei auswendig zu lernen, um sie gleich drüben in Spanien den Rittern vom harten Sitzfleisch ins Gesicht zu werfen. Der Gedanke an diese Szene machte die Gesellschaft jeden Tag überglücklich. Sie war ihre Königin.
Aber die Kleine hatte an Bord einen Feind, den Kaplan. Er hatte verhindern
wollen, daß sie mitfuhr. Als ihm das nicht gelang, schikanierte er sie, indem
er sie täglich in einem Schiffswinkel stillsitzen hieß zwischen Tauen und Ketten,
wo er ihr Gebete vorsprach und ihr zu ihrem Schmerz die Farben im Gesicht mit
einem Schwamm abwischte, den er für sie in seiner Kutte bei sich trug. Nun kam
sie eines Mittags nach einer üppigen Mahlzeit durch das Mittelschiff spaziert,
bemalt wie immer, hatte sich zum Spiel den Rosenkranz abgemacht und wirbelte
ihn übermütig in der Luft, dabei trällerte und lallte sie die Flüche, die ihr
heute die Gesellschaft beigebracht hatte. Der schwarze Dominikaner begegnete
ihr, hörte ihr dünnes Stimmchen und ihr Gedalbere und sah voll Empörung, wie
das rote Tier wieder bemalt war und Faxen mit dem Rosenkranz machte. Er ließ
sie dicht an sich herankommen, sie sah ihn hinter dem Mast nicht, und gab ihr
unversehens ein paar kräftige Ohrfeigen, die sie umwarfen. Am Boden entriß er
ihren kleinen Händen den schönen Rosenkranz. Auf ihr Geschrei kamen einige von
der Tafel angelaufen, hitzig, weinmütig, die Mäuler noch nicht abgetrocknet,
die gewaltigen Hüte im Nacken. Sie hoben die brüllende Kleine auf, sie schrie
nach ihrem Rosenkranz, die wilden Herren verlangten ihn von dem Mönch, der stopfte
ihn sich in seinen Gürtel und rückte aus. Zuletzt kam Federmann selber, angeheitert.
Als er den Schauplatz überblickte und die Geschichte vernahm, packte er sich
seine Prinzessin, so wie sie war, auf den Buckel und rannte hinter dem Mönch
her. Der sollte, der mußte bestraft werden, im Augenblick, der blöde Pfaff,
er sollte, er mußte die indianische Prinzessin so auf den Buckel nehmen, wie
er es tat, und sie zur Strafe fünfmal um das Schiff tragen. Der Mönch, der den
Zustand Federmanns und seiner Kumpane sah, floh und suchte den Schiffskapitän,
den Steuermann. Er rannte nach oben. Es war ein stürmischer Tag, alle Seeleute
beschäftigt. Federmann, die Zwergin auf dem Nackenjagte die Treppen hinter ihm,
die Meute seiner Tischkumpane, die Eroberer der Sabana und Hochpässe, sein Gefolge,
nach. Er wollte und mußte den Pfaffen erwischen. Aber er erwischte ihn nicht.
Denn was die Sabana und die Hochpässe der festen Erde nicht konnten, das konnte
plötzlich das Meer. Eine Welle, nicht besonders groß und stark, schlug über
Bord. Federmann mit seinem Fräulein glitt in der Nässe aus und lag am Schiffsrand.
Wäre er nicht betrunken gewesen, so hätte er sich einfach aufgerichtet und zurückgezogen.
So warf er sich, um dem Wasser zu entgehen und ohne die Beine seiner Dame loszulassen,
um, nach der falschen Seite, rutschte über die schräge Fläche und stürzte ab.
Sie sahen ihn heraufkommen, das kleine Tier auf seinen Schultern in seine Haare
verkrallt. Sie hinderte ihn zu schwimmen, drückte in ihrer Angst mit beiden
Händen auf seine Augen, so daß er die Stricke, die man ihm zuwarf, nicht sah.
So standen die Herren oben, ernüchtert, von Entsetzen gepackt, warteten, schauten
sich die Augen aus, was ihr fröhlicher Kapitängeneral tat. Man ließ ein Boot
herunter. Aber er schwamm schon ein ganzes Stück hinter ihnen, von den Wellen
auf- und niedergetragen, der rotbärtige schwere Mann. Die Zwergin hatte ihn
losgelassen und rollte ihm nach als bunte Kugel über den grünweißen Kämmen.
Tot waren beide. Ihnen konnte nichts mehr geschehen. -
Alfred Döblin, Amazonas-Trilogie. Bd.1, Land ohne Tod. München 1991
Zwergin (4) Bald wurden, auch dank Barberines Auskünften, die Vorhänge des Alkovens gelüftet, und jeder erfuhr, daß Louise keinerlei Gefallen an der Erfüllung ihrer ehelichen Pflichten fand, und was nach Barberines kasuistischen Erklärungen einer Jungfrau zum Ruhme gereicht hätte, wurde bei einer verheirateten Frau die ärgste aller Sünden.
So bemerkte man denn auch, daß Anthelme neben seiner Frau bald schon seine
Geliebte hatte, die nicht etwa Barberine war; eine gänzlich unerwartete, eine
so pikante und erstaunliche Liebste, daß die ganze Stadt es sogleich erfuhr,
darüber herzog und sich nicht genug verwundern konnte: eine Zwergin von dreißig
Jahren, die um Stücklohn wunderbare Stickereien verfertigte, wenn sie nahe bei
der Schmiede auf ihrem Balkon saß. So breit wie hoch, maß sie noch keine neunzig
Zentimenter im Quadrat, während Bordesoule stämmig und mächtig wie ein Riese
gewachsen war. Obwohl diese monströse Liebschaft sehr geheimgehalten wurde,
war sie doch bald stadtbekannt und sprichwörtlich. Kaum übrigens durfte «Nina»
- so nannte man die Zwergin - gewiß sein, daß Bordesoule ein Auge auf sie geworfen
hatte, da putzte sie sich mit einem goldenen Kneifer heraus, zog ein Schleppkleid
an und einen Hut mit Straußenfedern, so groß wie sie selbst; da konnten denn
die Leute nicht umhin, stehenzubleiben, weil Bordesoule stehenblieb, voller
Bewunderung für die Grübchen in ihrem Gesicht und
die feinen zarten Finger an ihren beiden Patschhändchen wie auf einer Miniatur,
und alles lauerte nur auf den Moment, wo Bordesoule sein Püppchen vor sich auf
den Amboß setzte. Dann lief die ganze Stadt herbei und schaute ihnen durchs
Schlüsselloch zu; man hätte meinen sollen, Bordesoule
wisse das und es sei ihm gleichgültig, oder er wünsche gar, daß man es wisse
und daß alle in so Ärgernis erregender Weise vor
der Schmiede zusammenliefen. - Marcel Jouhandeau, Barberine
oder Das Cache-Pô. In: M. J., Chaminadour. Reinbek bei Hamburg 1964
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