Zwerchfell   An ihr Gesicht erinnere ich mich kaum mehr. Ich erinnere mich nur schwach, daß ihre Nase retroussé war. Ohne Zweifel hatte man Cleo nie in ihren Kleidern wiedererkannt. Man konzentrierte sich auf den Rumpf, in dessen Mitte sich ein riesiger, karminrot gemalter Nabel befand. Er war wie ein hungriger Mund, dieser Nabel. Wie das Maul eines plötzlich von Lähmung befallenen Fisches. Ich bin sicher, ihre Möse war nicht halb so aufregend. Vermutlich war sie ein blaßblauer Fleischspalt, den ein Hund sich nicht die Mühe machen würde zu beschnüffeln. Das Leben saß in ihrem Zwerchfell, in dieser geschmeidigen, fleischigen Birne, die sich unter dem Brustbein vorwölbte. Der Rumpf erinnerte mich immer an diese Modellbüsten von Damenschneiderinnen, deren Oberschenkel in einem Gesteil aus Schirmstäben enden. Als Kind strich ich gern mit der Hand über die schwellende Rundung in Höhe des Nabels. Sie fühlte sich himmlisch an. Und daß das Modell keine Arme oder Beine hatte, erhöhte die üppige Schönheit des Torsos. Manchmal befand sich kein Korbgeflecht darunter - nur eine auf den Rumpf beschränkte Gestalt mit einem kleinen, immer schwarz lackierten Kragen als Hals. Diese Torsos waren es, die mich besonders fesselten. Eines Abends stieß ich auf dem Rummelplatz auf eine lebende, ganz wie die Nähmaschinenmodelle daheim. Sie bewegte sich auf dem Podium auf ihren Händen, als trete sie Wasser. Ich ging ganz nahe an sie heran und verwickelte sie in ein Gespräch. Sie hatte natürlich einen Kopf und sogar einen recht hübschen, ein wenig wie die Wachsköpfe für Perücken, die man in den Schaufenstern der Frisiersalons in den eleganten Vierteln einer Großstadt sieht. Ich erfuhr, daß sie aus Wien war, sie war ohne Beine geboren worden. Aber ich schweife vom Thema ab ... Was mich an ihr faszinierte, war die Tatsache, daß sie dieselbe wollüstige Wölbung, diese birnenförmige Schwellung und Rundung hatte. Ich stand lange Zeit bei ihrem Podium, um sie von allen Seiten zu betrachten. Es war erstaunlich, wie kurz ihre Beinstümpfe waren. Nur noch eine Scheibe von ihnen, und sie wäre ohne Spalt gewesen. Je mehr ich sie forschend betrachtete, desto mehr war ich versucht, sie umzukippen. Ich konnte mir vorstellen, wie ich meine Arme um ihre niedliche kleine Taille legte, wie ich sie aufhob, sie unter den Arm klemmte und mich mit ihr davonmachte, um ihr auf einem unbebauten Grundstück Gewalt anzutun.  - Henry Miller, Sexus. Reinbek bei Hamburg 1980 (zuerst 1947)
 

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