weisamkeit
Ihr seid miteinander im Bett, Leser und Leserin. Folglich ist nun der Moment
gekommen, euch in der zweiten Person Plural anzureden, eine sehr folgenreiche
Operation, da sie darauf hinausläuft, euch als einheitliches Subjekt zu betrachten.
Euch meine ich, das undefinierbare Knäuel da unter dem zerwühlten Laken. Vielleicht
geht hinterher wieder jeder von euch seiner eigenen Wege, und die Erzählung
muß sich erneut damit abplagen, alternierend den Schalthebel umzulegen vom weiblichen
Du zum männlichen Du. Aber nun, da eure Körper bestrebt sind, Haut an Haut die
sinnenfreudigste Nähe zu suchen, Schwingungen auszusenden und Wellenbewegungen
zu empfangen, alle Voll- und Leerräume zu durchdringen, nun, da auch eure geistige
Aktivität übereinstimmend nach Übereinstimmung trachtet, nun kann man euch eine
wohlgesetzte Rede halten, die euch als einheitliche Person mit zwei Köpfen begreift.
Als erstes ist der Handlungsbereich oder die Seinsweise eurer Zweisamkeit zu
bestimmen. Wohin führt diese eure Verschmelzung? Welches zentrale Thema kehrt
wieder in euren Variationen und Modulationen? Ist es eine Hochspannung, die
sich voll darauf konzentriert, nichts vom eigenen Potential zu verlieren, einen
Zustand der Reaktivität zu verlängern, das akkumulierte Verlangen des anderen
zu nutzen, um die eigene Aufladung zu vermehren? Oder ist es die allerfügsamste
Hingabe, die Erkundung der Unermeßlichkeit eurer lustempfänglichen und lustspendenden
Zonen, die Auflösung eures innersten Wesens in einen See mit unendlich taktiler
Oberfläche? In beiden Situationen, soviel ist klar, existiert ihr jeweils nur
in Funktion des anderen, doch um sie möglich zu machen, müssen eure beiderseitigen
Ich, anstatt sich auszulöschen, restlos die ganze
Weite des geistigen Raumes füllen, sich selbst mit maximalem Gewinn investieren
beziehungsweise sich bis zum letzten Heller verausgaben. Kurzum, was ihr da
treibt, ist wunderschön, doch grammatikalisch ändert sich nichts. Im Augenblick,
da ihr am allermeisten als ein vereintes Ihr erscheint, seid ihr zwei mehr als
zuvor getrennte und wohlabgegrenzte Du. - Italo Calvino, Wenn ein Reisender
in einer Winternacht. München 2007 (Zuerst 1979)
Zweisamkeit (2)
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