uspruch  Wenn du Süßigkeiten besonders gern hast (wunderbarer Streich der Natur), so wird das niemand für ein Verbrechen halten; jene aber, deren Intelligenz, da sie energischer und größerer Dinge fähig ist, Pfeffer und Arsenik vorzieht, haben gute Gründe so zu handeln, ohne damit die Absicht zu verbinden, jenen ihre friedliche Herrschaft aufzuzwingen, die aus Angst vor einer Spitzmaus oder vor dem sprechenden Ausdruck der Oberflächen eines Kubus zittern. Ich spreche aus Erfahrung, ohne hier die Rolle des Provokateurs spielen zu wollen. Und wie die Rädertierchen und die Faultiere eine Hitze ertragen, die dem Siedepunkt nahekommt, ohne unbedingt ihre Vitalität einzubüßen, so wird es auch dir ergehen, wenn du es verstehst, vorsichtig die scharfe, eiterfördernde Lymphe zu assimilieren, die sich langsam aus der Reizbarkeit entwickelt, von meinen interessanten Elukubrationen verursacht. Was, ist es etwa nicht gelungen, auf den Rücken einer lebenden Ratte den von dem Körper einer anderen Ratte abgetrennten Schwanz zu pfropfen?

Versuche also in derselben Weise, die mannigfaltigen Modifikationen meiner kadaverähnlichen Vernunft in deine Phantasie zu übertragen. Aber sei vorsichtig. Zur Stunde, da ich schreibe, ziehen neue Schauder durch die intellektuelle Atmosphäre: man muß nur den Mut haben, ihnen offen ins Auge zu blicken. Warum schneidest du solche Grimassen? Und du begleitest sie gar mit einer Gebärde, die man nur nach langer Übung imitieren könnte. Sei überzeugt, daß bei allem Routine erforderlich ist; und da die instinktive Abneigung, die sich von den ersten Seiten an zeigte, wesentlich an Tiefe verloren hat, umgekehrt zur Aufmerksamkeit bei der Lektüre, gleich einem Furunkel, das man öffnet, so besteht die Hoffnung, wenn auch der Kopf noch krank ist, daß deine Heilung sicherlich bald in ihr letztes Stadium eintreten wird. Für mich besteht kein Zweifel, daß du bereits der völligen Genesung entgegentreibst; dein Antlitz jedoch ist sehr mager geblieben, leider! Aber... Mut! in dir steckt ein ungewöhnlicher Geist, ich liebe dich, und gebe die Hoffnung auf deine totale Erlösung nicht auf, vorausgesetzt, daß du einige heilsame Substanzen einnimmst, die das Verschwinden der letzten Krankheitssymptome nur beschleunigen können. Als heilende, stärkende Nahrung wirst du deiner Mutter (wenn sie noch existiert) zuerst die Arme ausreißen, sie in kleine Stücke schneiden und sie dann an einem einzigen Tag essen, ohne daß dein Antlitz die geringste Spur deiner Erregung verriete. Sollte deine Mutter schon zu alt sein, dann wähle ein anderes jüngeres und frischeres chirurgisches Objekt, das von der Knochensäge erfaßt werden kann und dessen Sprungbeine beim Gehen leicht eine Stütze zum Schaukeln bilden: deine Schwester zum Beispiel. Ich kann nicht umhin, ihr Schicksal zu beklagen und ich gehöre nicht zu jenen, deren sehr kalte Begeisterung Güte nur vortäuscht. Du und ich werden für diese geliebte Jungfrau (ob sie wirklich Jungfrau ist, kann ich indes nicht beweisen) zwei nicht zurückzuhaltende Tränen, zwei bleierne Tränen, vergießen. Das ist alles. Das beste Linderungsmittel, zu dem ich dir rate, ist ein Becken voll klumpigen Gonorrhöeeiters, in dem man vorher eine haarige Eierstockgeschwulst, einen follikularen Schanker, eine entzündete, durch Paraphimose hinter die Eichel gestülpte Vorhaut und drei rote Nacktschnecken aufgelöst hat. Wenn du meine Verordnung befolgst, wird dich meine Dichtkunst mit offenen Armen empfangen, wie wenn eine Laus mit ihren Küssen die Wurzel eines Haares herausschneidet. - (mal)

Zuspruch (2)  Der Gedanke, daß diese so standhafte Seele sich der Rettung verweigerte, ließ dem ehrwürdigen Pedro Arbuez d'Espila Tränen in die Augen steigen, während er sich dem zitternden Rabbi näherte und folgende Worte an ihn richtete: «Freue dich, mein Sohn, denn deine Prüfungen auf Erden werden ein Ende haben. Wenn ich auch angesichts einer solchen Verstocktheit es tiefbekümmert geschehen lassen mußte, daß manch harter Zwang angewandt wurde, so hat doch meine Aufgabe brüderlicher Zucht ihre Grenzen. Du bist der störrische Feigenbaum, der, so oft ohne Frucht angetroffen, der Verdorrung anheimzufallen droht... Doch an Gott allein ist es, über deine Seele zu befinden. Vielleicht wird seine unendliche Gnade im allerletzten Augenblick über dir leuchten! Wir müssen es hoffen! Es gibt Beispiele ... So geschehe es! Ruhe nun heute abend in Frieden. Morgen wirst du am Autodafé teilnehmen, das bedeutet, daß du dem Quemadero ausgesetzt wirst, der Feuersglut, die dem ewigen Höllenfeuer vorausgeht. Sie brennt, wie du weißt, mein Sohn, in einiger Entfernung von dir, und der Tod braucht mindestens zwei Stunden, oft drei, aufgrund der feuchten, kalten Wickelbänder, mit denen wir Stirn und Herz der Opfer sorgfältig schützen. Doch ihr werdet nicht mehr als dreiundvierzig sein. Bedenke, daß du, der du der letzte der Reihe bist, die notwendige Zeit haben wirst, Gott anzurufen und ihm diese Feuertaufe anzubieten, die der Heilige Geist vollzieht. So hoffe auf Erleuchtung und ruhe nun.»

Als Dom Arbuez seine Rede beendet und durch ein Zeichen bedeutet hatte, dem Unglücklichen die Fesseln abzunehmen, umarmte er diesen zärtlich. Dann war die Reihe am Fra Redemptor, der den Juden mit leiser Stimme bat, er möge ihm vergeben, was er ihn zu seiner Erlösung habe erdulden lassen. - Villiers de L'Isle-Adam, Die Hoffnung. In: V. I.-A., Der Tischgast der letzten Feste. Stuttgart 1983. Die Bibliothek von Babel Bd. 27, Hg. Jorge Luis Borges

Zuspruch (3)

Ermutigung Heilkunst
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