Zungen, böse

 BALLADE VON DEN BÖSEN ZUNGEN.

In Hefenschaum, in heißem Höllenstein,
in Operment, in Blei, das siedend raucht,
in ungelöschtem Kalk, zu größrer Pein,
in Talg und Pech und Lauge eingetaucht,
in Fußschweiß und in alten Hosenfetzen,
in Alteweiberkot und Judenpisse,
in Menschenhäuten voller Schinn und Grätzen,
im Absud eitriger Abszeßergüsse,
in Dachs- und Fuchs- und Wolfengalle
sollen die bösen Zungen der Verleumder kohlen.

In einem Katzenhirn, das fault und stinkt,
im Geifer eines Hundes, krank an Wut,
in Jauche, die ein Schwein schon nicht mehr trinkt,
in Rotz, in halbverwestem Eselsblut,
im grünen Schamsaft einer geilen Stute,
im Ohrenausfluß und im Schorf von Blattern,
im Talge einer schmutzigen Hengstenrute,
in faulem Wasser sollen, drinnen Nattern
und Kröten, Molche und Gewürm geboren,
die bösen Zungen der Verleumder schmoren.

In Schanker-, Syphilis- und Krebsgeschwür,
in altem Menstruationsurin,
in trocknem Blut, erhältlich beim Barbier,
wenn Neumond ist, halb schwarz, halb gräulich grün,
in heißem Schwefel und in Wasserbecken,
drin sich die Dirnen nach dem Beischlaf baden,
in halbverwestem Fleisch, drin Maden stecken,
in eines Lungenkranken Speichelfladen,
in Säuren sollen und in Sublimaten
die bösen Zungen der Verleumder braten.

GELEIT.

Nun nehmt ein Sieb, durch das ihr alles siebt,
und die Essenz, die sich daraus ergibt,
ist grad die beste, drin von Rechtes wegen
die Zungen der Verleumder sieden mögen. 

- François Villon, nach: F. V., Lieder und Balladen. Zürich 1987 (Übs. K. L. Ammer, zuerst 1907)

 

Zunge Böse

 

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