Zunge lockern  Ich öffnete die Flasche und goß mir ein Gläschen von dler gelben Flüssigkeit ein. Giovanna sah mir mit offenem Mund zu. Ich wagte nicht, ihr etwas anzubieten.

«Bekomme ich noch mehr Cognac, wenn diese Flasche leer ist?»

In höflichem Konversationston versicherte Giovanna:

«So viel Sie wollen! Die Verwalterin ist angewiesen, wenn nötig, auch noch um Mitternacht aufzustehen, um Ihren diesbezüglichen Wünschen nachzukommen!»

Ich bin nie geizig gewesen, und so hatte Giovanna sofort ihr vollgefülltes Gläschen. Sie leerte es, bevor sie noch danke sagen konnte. Und gleich darauf stierten ihre lebhaften Augen wieder die Flasche an. Damit brachte sie mich selber auf den Gedanken, sie betrunken zu machen. Aber das war nicht so leicht!

Ich kann nicht alles wiedergeben, was sie mir nach mehreren Gläsern Cognac in ihrem unverfälschten Triestiner Dialekt erzählte. Ich hatte das Gefühl, neben jemandem zu sitzen, dem ich sicherlich mit Vergnügen zuhören würde, wenn mich nicht gerade andere Gedanken beschäftigten.

Zunächst erklärte sie mir, wie sie Gefallen an der Arbeit finden würde. Alle Menschen auf der Welt müßten das Recht haben, täglich ein paar Stunden in einem bequemen Lehnstuhl, jenem ähnlich, in dem sie gerade saß, zu verbringen und eine Flasche guten Schnaps, natürlich nur solchen, der nicht schadet, zu trinken.

Auch ich wollte etwas sagen. Ich fragte sie, ob ihre Arbeit so eingerichtet war, als ihr Mann noch lebte.

Sie begann zu lachen. Von ihrem Mann hatte sie mehr Prügel als Liebkosungen bekommen. Verglichen mit dem, was sie damals arbeiten mußte, kam ihr ihre jetzige Arbeit wie ein Ruhestand vor. Auch bevor ich mit meiner Kur in dieses Haus gekommen war.

Hierauf wurde Giovanna philosophisch und fragte, ob ich glaube, daß die Toten sehen, was die Lebenden tun. Ich bejahte kurz. Aber sie wollte mehr wissen: ob die Toten, wenn sie drüben ankommen, im nachhinein alles erfahren, was sich hier unten ereignet hat, als sie noch lebten. Einen Augenblick lang amüsierte mich diese Frage. Giovannas Stimme war weich geworden. Sie hatte sie gedämpft, um von den Toten nicht gehört zu werden. Ich fragte:

«Sie haben Ihren Mann betrogen?»

Sie bat mich, nicht zu schreien. Dann gestand sie mir, ihren Mann betrogen zu haben, aber nur in den ersten Monaten ihrer Ehe. Später habe sie sich an die Prügel gewöhnt und ihren Mann geliebt.

Um das Gespräch nicht einschlafen zu lassen, fragte ich weiter:

«Ihre erste Tochter stammt also von dem andern?»

Mit der gleichen gedämpften Stimme gestand sie, daß sie dies schon wegen der Ähnlichkeit für wahrscheinlich halte. Aber es schmerze sie sehr, ihren Mann betrogen zu haben. Sie sagte das lachend, denn das sind Dinge, über die man immer lacht, obgleich sie uns doch zeitlebens weh tun. Sie bedauerte es erst seit dem Tod ihres Mannes, denn früher hatte es ja keinerlei Bedeutung, da er nichts davon wußte.

Mit einer gewissen verwandtschaftlichen Sympathie versuchte ich, ihren Schmerz zu lindern, und sagte: «Ich glaube wohl, daß die Toten alles wissen, daß ihnen aber das meiste davon ziemlich egal ist. Nur die Lebenden leiden darunter!» rief ich dann und schlug mit der Faust auf den Tisch.

Bei dieser Gelegenheit verrenkte ich mir die Hand.  - (cos)

 

Zunge Lockerung

 

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