ürich Auf
der Straße begibt sich: Die larmoyante Musik der Heilsarmee. Vor der Studenten-Wirtschaft
»Zur Bollerei« auf grobpfla-strigem Platz stehen im Kreis fünf Männer mit Blasinstrumenten.
Hüte, Bagage und Instrumentenkästen liegen geschichtet inmitten des Kreises
auf einem Haufen. Frauen mit seltsamen Hüten und Brillen (aus Bildern des Quentin
Massys) singen eine erbarmenswürdige Melodie vom gekreuzigten Heiland. Auf dem
Balkon der »Bollerei« die Studenten: in langer Reihe mit eckigen Köpfen und
Quastenpfeifen. Oder es findet, unter freiem Himmel, eine Versammlung statt,
auf dem Münsterplatz. »Gegen den Hunger.« »Schweizerarbeiter, wach auf, bevor
es zu spät ist! Nieder mit der Heuchelei des Burgfriedens! Es lebe der Klassenkampf!«
Mit Trompetenstoß wird die Versammlung eröffnet. Auf einem Karren stehen die
Redner. In kleinen Trupps, die Internationale singend, zerstreut sich die Schar
der Protestler unterm Gewitterregen. Zürich ist die Stadt der Gesangvereine.
Vierstimmig, schippelig. »Alles wird sich schon gestalten. Frühling wird es
sicherlich.« Gesellenhäuser heißen hier »Zur Käshütte«, »Blaue Fahne«, »Zur
Zimmerleuten«. Auch wird viel trompetet, aus sechsten Stockwerken heraus. Man
tut etwas für die Lunge. Im Park, auf den Terrassen der großen Hotels, an Kiosken
und in den Separes der Kabarette: man spricht viel Französisch, von Genf her.
Scheintot ist man versucht die Stadt zu nennen trotz
Sonne und Grobheit nach drei Tagen Aufenthalt. Niemand führt Buch über Verbleib
und Schattierung geflüchteter Krimineller. -
Hugo Ball, Der Künstler und die Zeitkrankheit. Frankfurt am Main 1988
Zürich
(2) Welche Stadt wäre geeigneter, diese Leere
wiederzufinden, als Zürich? Hier ist das Land der Reformation, die Stadt Zwinglis,
des Mannes am Ende jeder Enzyklopädie, und steinerne
Mahnungen stehen überall. Spione und Big Business bewegen sich rastlos zwischen
den Grabsteinen. Nimm Gift darauf, daß hier, in gerade dieser Stadt, ex-junge
Männer an der Arbeit sind, Gesichter, die Slothrop aus den College-Höfen kennen
könnte, die in Harvard in die puritanischen Mysterien
eingeweiht wurden: die heilige Eide geschworen haben, die Vanitas als
ihre Herrscherin zu respektieren und stets in ihrem Namen zu handeln ... Agenten
der Leere, die Lebensplan Nummer so-und-so in die Schweiz verschlagen hat, wo
sie für Allen Dulles und seine Abwehr arbeiten, die noch auf den Namen «Office
for Strategie Services» hört. Doch für die Eingeweihten ist OSS ein Akronym
mit einem geheimen Sinn: ein Mantra für den Augenblick akuter Krise, das man
sie gelehrt hat, sich innerlich vorzusprechen, oss ... oss, das
tote, verwunschene, mittellateinische Wort für Knochen
... - Thomas Pynchon, Die Enden der Parabel. Reinbek bei
Hamburg 1981
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