ürcherin Ich
gehe mit Tristan Tzara, dem berühmten Dada-Sänger
und Lebemann, über die Bahnhofstraße in Zürich. Zeit: 10 Uhr abends. Es gehen
immer Frauen vorüber, deren Kleider die reine Glasarchitektur in Bezug auf Durchsichtigkeit
sind. Es ist scheinbar Sommer. Bei mir ist immer Sommer, wenn sich der Sexus
meldet. Sexus ist ein Commis von Marchal Field, New York, hohe Telephonnummer.
Na, Sie verstehen. Uns ging es ähnlich. Sie müssen nämlich wissen, mein Freund
Tzara ist Rumäne. Also, wie gesagt (besoffen sind wir auch gerade etwas; Diner
bei Huguenin) - der Tzara fragt eine Frau, eine ältere Dame aus dem Lande der
Barchenthosen und der Doppelkinne, Fistelstimmen, des Schweizer Käses, der Schweizer
Schokolade usw. ohne Umschweife nach einem Bordell. Nun ist ein Bordell für
Dadaisten die natürlichste Sache von der Welt. Frauen sind ja bekanntermaßen
wie Artischokken - ach ein Bordell, du köstliches Genezareth unserer Sünden.
Alle Interessenten mögen sich schnellstens an die von meinem Freunde Raoul Hausmann
dirigierte internationale dadaistische Geschlechtszentrale wenden. In Zürich
jedenfalls, das von einem Altweiberklub regiert wird, dem Brennpunkt muckerischer
Verlogenheit, der Zentrale verlogener Menschenliebe (dabei prügeln die
Paschas gottseidank weiter) gibt es kein Bordell. Wenn man
einer Züricherin das Wort Bordell ins Gesicht sagt, so ist das ungefähr so,
als würde man den deutschen Kaiser mit Ehrenmann oder einen Neger mit Herrn
Geheimrat titulieren. Beide würden nicht verstehen, was man meint; der Kaiser würde natürlich in Wut geraten, der
Neger lachen. Die Züricher Frauen geraten aber bei dem Wort Bordell in eine
furchtbare, berserkerische versteinernde Wut. Wir merkten wohl, daß wir an die
falsche Adresse gekommen waren, ahnten aber nicht, daß wir jemanden tödlich
beleidigt hatten. Als wir einige Schritte weiter gegangen waren, hörte ich hinter
uns ein bedrohliches Rhabarber. Ein Greis im Bis-marckhut, mit weißen flatternden
Haaren, aber auch mit erhobenem Stock näherte sich schnell. Ehe wir uns retten
konnten, erhielt Tzara einen furchtbaren Stockhieb (natürlich von hinten) auf
den Kopf, konnte aber soweit parieren, daß nur der Rand des Strohhuts getroffen
wurde, welcher dann allerdings der Attacke weichen mußte. Ein großer Auflauf,
Hunderte von spuckenden und schimpfenden Tripleboches wollten uns massakrieren
und nur mit genauer Not gelang es uns, durch eilige Flucht eine neue Schlacht
bei Murten zu verhüten. In diesem Lande der Rohköstler, Joghurtfanatiker, Konkubinatsschnüffler,
in der freien Schweiz, die Friedrich Schiller
besungen hat, in diesem Lande des Kropfs, der Seen und der landschaftlichen
Schönheit, das von Alfieri als ein Abort und von Madame
de Stael als ein Paradies bezeichnet wurde, wo die
Kühe wie Menschen und die Menschen wie Kühe sind, in diesem Land, in dem Gottfried
Keller als totes Schemen die Lebendigen mehr sekkiert als je ein Torquemada
die Häretiker sekkiert haben kann - hier wurde eines Tages Dada geboren, die
Weltanschauung der freiesten Menschen, die dieser verfluchte Planet je hervorgebracht
hat. - Richard Huelsenbeck, nach R. H., Tristan
Tzara: Dada siegt! Hamburg 1985 (zuerst 1922)
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