ündholz   Amilcare gehörte zu den Männern, die ihre Ehe nicht bereuen und die, nachdem sie eine Frau geheiratet haben, sich an ihre Haut so gewöhnen, daß sie nach keiner anderen Verlangen tragen und Emotionen nur bei ihr spüren wie die schwedischen Zündhölzchen, die nur brennen, wenn man sie gegen die eigene Schachtel streicht. Viel glücklicher sind die gemeinen Zündhölzer! - Pitigrilli, Ein Freundschaftsdienst. In: P., Luxusweibchen. Reinbek bei Hamburg 1988 (rororo 12201, zuerst 1922)

Zündholz (2)   Eine Gesellschaft bedarf, um nicht zu verjauchen und unter einer dicken Schicht Entengrütze zu ersticken, der periodischen Aufmischung. Mit einem anderen Wort: der Revolution. Fortschrittlich sind solche Nationen zu nennen, die diese schmerzhafte, doch notwendige Operation beizeiten hinter sich gebracht haben - je früher, desto besser. Eine Klasse, die sich zu lange oben eingenistet hat, stirbt ab wie Hornhaut, die Poren eines Landes verstopfen davon, und in der Gesellschaft wächst die Atemnot, die Sinnlosigkeit und Willkür nach sich zieht. Der Staat wird baufällig wie ein lange nicht saniertes Haus, und ist der Verfall zu weit gediehen, hat es keinen Zweck mehr, das morsche Gebäude zu stützen und zu flicken. Man muß es niederbrennen und auf der Brandstelle ein neues Haus bauen, licht und stabil.

Doch Brände entstehen nicht von selbst. Es braucht Leute, die bereit sind, die Rolle des Zündholzes zu übernehmen: selbst abzubrennen, um den großen Brand zu entfachen. Allein der Gedanke an ein solches Schicksal ließ einem den Atem stocken. Grin war einverstanden damit, Zündholz zu sein und abzubrennen, doch er wußte, daß es mit dem bloßen Einverständnis nicht getan war.

Vonnöten waren ein eiserner Wille, die Kräfte eines Herkules und eine Reinheit, die ohne Makel war.

Den Willen hatte er, der war ihm in die Wiege gelegt, er mußte ihn bloß entwickeln. Und er entwarf ein ganzes Programm zur Überwindung eigener Schwächen, die er zu seinen Hauptfeinden erkor. Zum Beispiel Höhenangst: Stundenlang spazierte er des Nachts über die Geländer einer Eisenbahnbrücke und zwang sich, den Blick nicht von den schwarzen, öligen Fluten in der Tiefe zu wenden. Ekelanfälle: Er fing im Wald verschiedene Ottern und starrte ihnen so lange in den abscheulichen, zischenden Rachen, bis sich das fleckige Reptil vor Wut um seinen nackten Arm geschlungen hatte. Schüchternheit: Er fuhr in die Kreisstadt auf den Jahrmarkt und sang dort Lieder zur Harmonika, während die Zuhörer sich kugelten vor Lachen, weil dieses finster dreinbhckende dumme Jüd-lein weder die Stimme noch das Gehör zum Sänger hatte.

Mit den Herkuleskräften war es schon schwieriger. Zwar erfreute sich Grin von Natur aus einer robusten Gesundheit, doch er war ungelenk und sein Knochenbau schmal. Über Wochen und Monate verwandte er zehn, zwölf, vierzehn Stunden pro Tag darauf, seine Muskelkräfte zu mehren. Dabei ging er nach einer eigenen Methode vor, die notwendige Muskeln von nicht notwendigen unterschied. Für letztere verschwendete er keine Zeit. Er begann mit dem Training der einzelnen Finger und hörte nicht eher auf, bis er Kupferfünfer, sogar die alten Silberdreier mühelos zwischen Daumen und Zeigefinger zu biegen vermochte. Sodann ging er zu den Fäusten über: hieb sie gegen ein zolldickes Brett, schlug sich die Knöchel blutig, neb die Schrammen mit Jod ein und hieb weiter, bis die Fäuste mit Schwielen überzogen waren und das Brett beim ersten Hieb entzweibrach. Als die Schultern an der Reihe waren, verdingte er sich bei einem Müller und schleppte vier Pud* schwere Mehlsäcke. Bauch und Kreuz ertüchtigte er mit französischer Gymnastik, die Beine mittels eines Fahrrads, wobei er ausschließlich bergauf fuhr - bergab trug er das Rad auf dem Rücken.

Sittliche Reinheit zu erlangen fiel ihm indes am aller-schwersten. Völlerei und Weichlichkeit hatte er sich schnell abgewöhnt, mochte die Mutter auch Tränen vergießen, wenn er sich durch langes Fasten stählte oder wieder einmal in regnenscher Oktobernacht zum Schlafen hinaus auf das Blechdach ging. Das Physiologische abzuschütteln wollte ihm hingegen nicht gelingen. Hier halfen Hungerkuren ebensowenig wie einhundert Klimmzüge am englischen Reck. Einmal beschloß er den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben und sich einen Widerwillen gegen den Geschlechtstrieb einzuhandeln, indem er in die Kreisstadt fuhr und sich die greulichste aller Bahnhofsdirnen mitnahm. Doch das Mittel wirkte nicht, alles wurde nur noch ärger davon.  - Boris Akunin, Der Tote im Salonwagen. Berlin 2004

Zündholz (3)  

- Roland Topor

 

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