immerwirtin
Er sagte: »Suchst du immer noch ein Zimmer?«
»Ja, sehr sogar.«
»Ich weiß von einer Frau, die ein Zimmer abgeben möchte. Sie ist eine entfernte Verwandte von mir, die Enkelin von Rabbinern. Wenn das Zimmer noch nicht vermietet ist, würde es das Paradies für dich sein. Sie ist so jemand wie du, ein bißchen verrückt. Sie sitzt den ganzen Abend an einem Tisch, der sich in die Luft hebt, und versucht, in die Zukunft zu sehen. Ihr Vater war ein Rabbiner, der den Verstand verloren hat. Sie versucht zu schreiben und zu malen. Sie hat schon drei Ehemänner hinter sich gebracht.«
»Wie alt ist sie denn?«
»Sie könnte deine Mutter sein, aber sie hat gern jüngere Männer. Warte mal, ich glaube, ich habe ihre Adresse hier irgendwo.«
Er zog ein Notizbuch aus der Tasche, das mit Adressen vollgeschrieben war und mit Gedichten in winziger Schrift. Er fand die Adresse und gab sie mir.
Ich fragte, ob die Frau Telefon habe, und er antwortete: »Sie hatte früher eines, aber es ist ihr abgeschaltet worden. Sie sollte auch schon aus der Wohnung gewiesen werden, aber der Hausbesitzer ist ein Chassid ihres Onkels.«
Die Frau wohnte irgendwo in der Gesiastraße in der Nähe des jüdischen Friedhofs.
»Ich werde mich nicht mit ihr einlassen«, beschloß ich sofort. Ich hatte einen
Horror vor liederlichen Frauen. Ich wollte eine Frau wie meine Mutter, die rein
und keusch war und die Liebe erst durch mich kennenlernen sollte. Trotzdem machte
ich mich gleich auf in die Gesiastraße. - Isaac Bashevis Singer:
Gina Halbstark und die Seelenwanderung, nach: Tintenfaß 7, Zürich 1983
Zimmerwirtin (2) „Diese alte
Schlampe", murmelte er, dachte er und fühlte
er, während er immer schneller ging, schneller und schneller, immer schnellerundschneller,
ziellos umherirrend. Die Leute starrten ihn an, weil er Selbstgespräche
führte. Dona Juana? Diese alte Schlampe, die seine Taschen durchwühlte,
wenn er schlief oder wenn er sturzbetrunken war. Diese alte Schlampe, die
immer pünktlich die Miete kassierte. Diese aufdringliche alte Schlampe,
die hinter seinem Rücken über ihn herzog, die allen erzählte, daß er ein
Säufer sei, daß er sich im Badezimmer einen runterhole.
Diese alte Schlampe, die an der Badezimmertür lauschte, sich über ihn lustig
machte und alle Pensionsgäste zusammentrommelte. ,Kommt her, kommt alle
mal her und hört euch an, wie er stöhnt!' -
Andreu Martín, Hammerschläge. Bühl-Moos u. Baden-Baden 1991
Zimmerwirtin (3) Wünsche
ich mir, daß das Gewitter losbricht und den
Baum vor meinem Fenster auseinanderreißt, daß es ein Viertel der Stadt flach
niederdrückt, daß ein Blitz die Katastrofe erhellt, hätte ich dabei Genugtuung,
würde ich sie kundtun. Sollte der Ausgang dieses Gewitters ein anderer als der
übliche sein, sollten heute früh nicht nur einige Äste auf der Straße liegen,
sollten die Autos nicht im üblichen Tempo fahren können
Halte ich meine
Wirtin für dumm, weil sie mir das Zimmer billig vermietet. Nehm ich es in Kauf,
daß ich sie jeden Tag aus dem Bad kommen sehe, finde ich ihren wild-beblumten
Morgenmantel unerträglich, nehm ich ihr ihren hängenden Busen übel, nenne ich
ihn in Schadenfreude läppisch hängend. Gönne ich ihr die 58 Jahre, sage ich
spöttisch verzehrende Ausdauer, mit der sie ihrem gleichaltrigen Freund anhängt,
anhängt. Macht es mir Vergnügen zu konstatieren, daß er sie einmal die Woche
besucht, einmal ausführt. Nenne ich ihr Verhalten verrückt, falls diese 2 Tage
ausfallen, läßt mich Gemeinheit auf die Weihnachtszeit kommen, in der sie nach
der Beichte wenigstens bis Heiligdreikönig rein bleiben wollte, rein? wenigstens?
wollte? Hab ich was dagegen, wenn er sie nicht am Gartentor verabschiedet, er
sie? vielmehr mit auf ihre Wohnung geht, bilde ich mir ein, daß sie nach einem
solchen Besuch freundlicher zu mir ist, lädt sie mich nur dann zu einer Tasse
Tee ein, einer? Steckt sie in einer unerfüllten Woche, unerfüllt, meine Wäsche
nicht unentgeltlich in ihre Waschmaschine, hab ich darüber Buch geführt Waren
ihre Blicke unmißverständlich, als ich nach einer Faschingsnacht nachhause kam
und wir uns auf der Treppe begegneten, will Ich, daß ihr Blick unmißverständlich
ist, habe ich es als einen Gnadenerweis verstanden, da sie mir versicherte,
versicherte, eine Kündigung des Zimmers sei knapp, knapp, an mir vorübergegangen,
suchte ich meinerseits einen Vorwand zu Kündigung, die Unantastbarkeit meiner
Person und meines Studiums zu unterstreichen. Unterschiebe ich ihr mittels meines
angeblichen Vergehens ihre angeblichen Vergehen bis zur Annullierung verkleinern
zu wollen. Muß sie mir Rechenschaft geben. Hab ich ein Recht über sie zu denken.
Darf ich ihr vor und nach solchen Gedanken ins Gesicht sehen. Muß ich eine Beziehung
zu ihr haben, weil sie mir das Zimmer vermietet. Warum nehme ich kein anderes
Zimmer. - Herbert Achternbusch, L'Etat c'est moi. Frankfurt am
Main 1972
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