Zimmermann (2) PETER: Ich hätt' sollen ein Schneider werden, da hab' ich mir aber denkt, zugrund gehn kann wohl jeder Mensch, aber gerade durch die 2ugrunde gehn, die man kleidet, deren Blöße man bedeckt, dieser Undank muß zu schmerzlich sein, und ist doch das allgemeine Schneiderlos.
Ich hart' sollen ein Schlosser werden, aber wer Sinn fürs Freie hat, hab' ich mir denkt, der kann kein Talent zu Schloß und Riegel haben. - Ich hätt* sollen ein Bäck werden, aber so ein schlaftrunkenes Mehlgespenst hat immer etwas Mitleiderregendes und Unheimliches für mich gehabt; denn wenn ein Bäck auch keinen Geist hat, so hat er doch viel von einem Geist, er is weiß, geht um bei der Nacht, und sehnt sich nach Ruhe, die ihm nimmer wird - das sind offenbar die Haupteigenschaften von einem Geist. -
Ich war als Bub sehr gern auf der Welt, und hab' mich fleißig mit Hund, Tauben,
Katzen und Kinigelhasen g'spielt, und da wir dem Altmeister unserer Zunft, den
Archenzimmerer Noah, unser Dasein verdanken, so
wie auch das Glück, daß wir von Viehern umgeben sind, so hat mich eine Art Dankgefühl
zum Zimrnermannhand-werk getrieben. - Ich hab's aber auch in späterer Zeit nie
bereut. Der Ursprung des Zimmermanns hat schon das vor viele andere Ursprünge
voraus, daß er nur halben . Teil gemein is, die andere Hälfte is erhaben, und
folglich - das Ganze das, was die noblen Leut eine Mesalliance nennen. Der Holzhacker
hat die Geometrie umarmt, und so is der Zimmermann entstanden. Unser Handwerkszeug
bestätigt diese Abkunft. Die Hacken is unser simples väterliches Erbteil, wir
haben aber auch Zollstab, Zirkel, Winkelmaß als Vermächtnis von unserer tiefsinnigen
Mama, und das sind Gegenstände, die man nicht leicht ohne zu denken in die Hand
nehmen kann. Der Zollstab gibt uns die wahrste
Ansicht von Länge und Breite, von Größe überhaupt, und wann man die einmal hat,
da fallen einem dann allerhand Mißverhältnisse auf- wie so mancher so groß herauskommt,
und wenn man ihn genau abmeßt, so klein is, daß man ihm gern noch was aufmesset.
Wie mancher ein Langes und Breites zusammenschreibt und nur eine schmale Kost
damit erwirbt - wie oft kleinwinzige Frauen mit langmächtige Männer gar so kurz
angebunden sind. Kurzum der Zollstab hat nur drei Schuh Länge, kann aber die
Ideen sehr ins Weite führen. So ist es auch beim Winkelmaß, man denkt dabei
unwillkürlich an die vielen menschlichen Winkelzüge, die offenbar unter die
Gattung der spitzigen Winkel gehören - an die Aufenthaltsorte des Unglücks und
der Armut, die unter die stumpfen Winkel gehören. Die schwierige Genauigkeit,
die der rechte Winkel erfordert, mahnt uns dran, daß das Rechte überhaupt nicht
leicht in Winkeln zu finden, eine Behauptung, die sich auch bis auf Winkelagenten,
Winkelsensalen, Winkelschreiber etc. etc. ausdehnen ließ'. - Ein noch weiteres
Gedankenfeld liegt im Zirkel. Zirkel is die vollkommste
Rundung, drum fallt es auch in die Zirkel am meisten auf, wenn sich einer eckig
benimmt - der gesellschaftliche Zirkel unterscheidet sich vom mathematischen
wesentlich dadurch, daß der mathematische einen einzigen Mittelpunkt
hat, der akkurat mitten im Zirkel liegt ~ der gesellschaftliche Zirkel jedoch
hat in der Mitte nur den scheinbaren Mittelpunkt, den Kaffeetisch, währenddem
der eigentliche Mittelpunkt, um den sich die Peripherie der Unterhaltung dreht,
meistens außerhalb des Zirkels liegt, weil gewöhnlich nur die Abwesenden ausgericht
werden. Aber halt! bis hieher und nicht weiter! die Zirkelbetrachtungen führen
einem zu leicht vom Runden auf das, was zu rund is, und in das mag ich jetzt
nicht eingehen, ich geh' lieber in was Viereckiges ein, in meine Haustür, und
kugel mich in mein längliches Bett. - Johann Nestroy, Der Unbedeutende. In: J. N., Werke,
Hg. O. M. Fontana. Darmstadt 1968 (zuerst 1846)
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