- Alfred Döblin, Reise in Polen. München
1987 (dtv 2428, zuerst 1925)
Zimmermädchen (2) Er läutete an der Tür der Wohnung Nr. 50.
Ihm wurde sofort geöffnet, aber der Kantinenwirt fuhr zurück und zögerte einzutreten. Das war verständlich. Geöffnet hatte ihm eine Frau, die nichts anhatte außer einer koketten Spitzenschürze und einem weißen Häubchen. Ach ja, an den Füßen trug sie goldene Schuhchen. Ihre Figur war makellos, und eine rote Narbe an ihrem Hals war der einzige Defekt an ihrem Äußeren.
»Nun kommen Sie doch rein, wenn Sie schon geklingelt haben«, sagte die Frau
und starrte den Kantinenwirt mit grünen verderbten
Augen an. - (
meist
)
Zimmermädchen (3) Sie wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und öffnete die Tür des Kleiderschranks. Sie bückte sich, fuhr in das Durcheinander aus schmutzigen Hemden auf dem Schrankboden und zog eine Flasche Gin hervor. Sie tat es wie }emand, der ein Kaninchen am Genick faßt und aus einem Loch zieht.
Der Anblick der Flasche erfreute sie durchaus nicht, sondern verstärkte eher ihre moralische Entrüstung. »Was glaubt er denn, wer hier außer mir ins Zimmer kommt? Er weiß doch, daß außer mir keiner herein kann. Es ist was Schreckliches mit mißtrauischen Menschen.«
Sie hob die Flasche an den Mund und nahm einen kräftigen Schluck. Danach
schlurfte sie zum Waschbecken und drehte den Kaltwasserhahn auf. Mit traumwandlerischer
Sicherheit, die auf langjährige Erfahrung schließen ließ, hielt sie die
Ginflasche einen kurzen Augenblick unter den Wasserstrahl und zog sie dann
wieder zurück. Mit diesem einen Griff hatte sie in etwa die fehlende Flüssigkeitsmenge
wieder aufgefüllt. Das war auch nicht so schwierig, wie man meinen sollte,
denn der Mißtrauische von neunzehn pflegte bei seinen Flaschen immer deutlich
sichtbar die Höhe des Alkoholspiegels mit einem Bleistiftstrich zu markieren.
Nach einem prüfenden Blick stellte sie fest, daß sie es zu gut gemeint
hatte. Sie korrigierte den Fehler, indem sie noch einen Schluck trank.
Dabei redete sie sich langsam in Wut. »Dieser alte Stinkstiefel! Dieser
alte Geizkragen!« Ihre Kulleraugen funkelten vor Zorn, und die goldenen
Münzen wippten erregt an ihren Ohren. »Eins kann ich ums Verplatzen nicht
ausstehen. Und das sind Leute, die mir mißtrauen!« - Cornell
Woolrich, Die Braut trägt schwarz. In: C. W., Phantom Lady / Die Braut
trägt schwarz. München 1985
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