Zimmer, unaufgeräumtes  Im fünften Stock, gegenüber der Treppe, stand eine Tür offen, hinter der, als Béschof sich ihr näherte, Henriettes orientierende Stimme erscholl: »Passe par-là, mon coco.«

Béschof betrat ein unaufgeräumtes Zimmer, auf dessen verbogenen Dielen zerbrochene Näpfe, schmierige Tücher, Haarnadeln und Papierfetzen herumlagen. An der streckenweise in langen Streifen herunterhängenden Tapete klebten zerquetschte Wanzen. Auf dem unsauberen Bett schlief eine kleine gelbliche Katze. In der Mitte auf einem frisch gestrichenen Tisch gärten die Reste einer Mahlzeit, Über dem ganzen Ensemble hing eine säuerliche Schlaf­stuben-Atmosphäre.

Béschof Sinne soffen selig diese Details. Mit gierig gehendem Atem schlich er zu einem Stuhl, ließ sich, vor Wonne zaghaft, nieder und betrachtete eben die schweinisch bemalte Tür, als Henriette sie mit einem Fußtritt schloß.

»Me voilà.« Henriette, die ihre Abendrobe mit einem Schlafrock vertauscht hatte, darauf unterhalb des Nabels japanische Funktio­näre auf den Steinschenkeln einer Pagode sich berieten, setzte sich auf eine niedrige Chaiselongue dicht neben der Tür und strampelte mit den Füßen.

Béschof wiegte sich auf dem Stuhl. »Dieses Möbel schätze ich nicht. Leg dich ins Bett!«

Henriette schlenkerte sich hoch, ließ den Schlafrock fallen, knöpfte das bis zu den Knien reichende fleckige Hemd an den Schultern auf und streifte es mit berechneten Zwischenakten ab. Als sie nackt dastand, postierte sie die Hände mit gespreizten Fingern auf die fetten Hüften und drehte sich odaliskenhaft im Kreise. »Hein, sagt dir das etwas?«

»Du hast unterm Hals schmutzige Schatten.« Béschofs Augen umschossen kundig ihren Akt. »Neben den Brüsten auch. Und dort . . . eine wüste bläuliche Röte . . .«

Henriette stellte ihre Drehungen mit einem schnellen Blick auf ihre ungewaschenen Füße ein. »Was sind das für versaute Beobachtungen?«

»Im Gegenteil, profundeste Wahrnehmungen!« Beschof hatte Mühe, seine Hände zu beherrschen. »Das linke Knie ist arg zer­schlagen. Heb das rechte Bein!«

»Quelle pitié!« Henriette tat es aber doch.

Beschof hustete, heiser vor Wollust. »Komm her!«   - Walter Serner, Eros vanné. In: W.S., Der Pfiff um die Ecke. Zweiundzwanzig Kriminalgeschichten. München 1982 (zuerst 1925)

 

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