immer,
totes Ich erinnere mich nicht mehr, wie ich dort
hinkam. Es scheint mir, daß es eine helle Nacht war, eine wäßrigweiße,
mondlose Nacht. Ich sah jeden Winkel im grauen Sterneniicht. Das Bett war
aufgedeckt, als ob es eben jemand verlassen hätte, und ich lauschte in
der Stilie, ob ich nicht den Atem Schlafender hörte. Wer könnte hier atmen?
Seitdem wohne ich hier. Ich sitze seit Jahren herum und langweile mich.
Hätte ich doch wenigstens an die Anschaffung von Vorräten gedacht! Ach
ihr, die ihr es noch könnt, denen noch eigene Zeit dafür gegeben ist, sammelt
Vorräte, häuft Korn, gutes und nahrhaftes Korn, süßes Korn, denn es kommt
ein großer Winter, es kommen arme und hungrige Jahre — und der Boden tragt
nicht im Lande Ägypten. Leider war ich nicht ein emsiger Hamster, ich war
eine leichtsinnige Feldmaus, lebte in den Tag hinein ohne Sorgen um das
Morgen, stolz auf mein Talent zum Hungerleiden. Wie eine Maus dachte ich
mir: Was macht mir der Hunger aus? Im ärgsten Fall kann ich Holz benagen
oder mit dem Mäulchen Papier in kleine Schnitzel zerreißen. Das ärmste
Tier, die graue Kirchenmaus — ans graue Ende des Schöpfungsbuches hingetupft
— kann von nichts leben. Und so lebe ich denn von nichts in diesem toten
Zimmer. Die Fliegen darin sind längst eine nach der anderen verreckt. Ich
lege das Ohr ans Holz, ob nicht in seiner Tiefe der Wurm bohrt. Grabesstille.
Nur ich, eine unsterbliche Maus, ein einsamer Wiedergänger, raschle in
diesem toten Zimmer, laufe ohne Ende auf dem Tisch, den Etageren und den
Sesseln herum. Ich bewege mich, ähnlich der Tante Tekla, in einem langen
grauen Rock bis auf den Boden, behende, rasch und klein,
ein raschelndes Schwänzchen hinter mir einherschleppend. Ich sitze jetzt
am hellichten Tag regungslos wie ausgestopft am Tisch, meine Augen, zwei
schwarze Glasperlen, stehen vor und glänzen. Nur die Spitze des Mäulchens
pulsiert kaum wahrnehmbar und knabbert zierlich aus Gewohnheit. -
Bruno Schulz, Einsamkeit. In: B. S., Die Zimtläden und alle anderen Erzählungen.
München 1966
Zimmer,
totes (2) Das Zimmer Rémi Rorschachs ist tadellos aufgeräumt,
als ob der Bewohner dieses Zimmers noch am gleichen Abend kommen und darin schlafen
sollte. Doch es wird leer bleiben. Niemand wird je wieder hier eintreten, höchstens
jeden Morgen für einige Sekunden Jane Sutton, die einen Augenblick lüftet und
auf das große marokkanische Tablett aus gehämmertem Kupfer die Post des Produzenten
wirft, alle Fachzeitschriften, die er abonniert hatte - La Cinématographie
française, Le Technicien du Film, Film and Sound, TV News, Le Nouveau Film Français,
Le Quotidien du Film, Image et Son usw. - alle diese Zeitschriften, die
er während des Frühstücks so liebend gern fluchend und schimpfend durchblätterte
und die sich in Zukunft mit unbeschädigter Banderole auftürmen würden, ihre
veraltete Anziehungskraft völlig umsonst speichernd. Es ist das Zimmer eines
bereits toten Mannes, und es hat den Anschein, als warteten die Möbel, die Gegenstände,
die Nippsachen schon auf diesen kommenden Tod, erwarteten ihn mit einer höflichen,
wohlgeordneten, sehr sauberen Gleichgültigkeit, ein für alle Mal erstarrt in
ein unpersönliches Schweigen: die tadellos glattgezogene Bettdecke, der Empire-Tisch
mit den Krallenbeinen, die Schale aus Olivenholz, die noch einige ausländische
Münzen enthält, Pfennige, Groschen, Pennies, und ein Zündholzbriefchen mit der
Aufschrift Fribourg and Treyer, Tobacconists & Cigar Merchants, 34, Haymarket.
London SW1, das sehr schöne geschliffene Kristallglas, der Frottee-Bademantel
in der Farbe gebrannten Kaffees, der an einem Kleiderhaken aus gedrechseltem
Holz hängt und rechts vom Bett der Herrendiener aus Kupfer und Mahagoni, mit
seinem geschwungenen Kleiderbügel und seinem patentierten System, das den Hosen
die ewige Bügelfalte sicherte. -
(rec)
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