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Wir haben gesehen, wie Aristoteles
in seiner Mahnschrift zur Philosophie das Ziel
des menschlichen Lebens als das reine Erkennen
bestimmt hat. Denn nur das Erkennen unterscheidet den Menschen
wesentlich vom Tiere und bringt ihn jener Welt nahe,
aus der seine Seele stammt und in die sie nach
dem Tode zurückkehren soll. Die Freude am Wissen
ist schon im Kinde angelegt, und wenn wir uns fragen, welches denn das
Leben der Götter sei, so liegt es auf der Hand, daß die Götter in ihrer
seligen Vollkommenheit weder für Gerechtigkeit noch für Tapferkeit noch
für Selbstbeherrschung irgendwelche Verwendung haben. Das reine Erkennen
ist die einzige Tätigkeit, die ihrer würdig ist. Und die Aufgabe des Menschen
ist es, den Göttern so weit als irgend möglich ähnlich
zu werden.
- Olof Gigon, Vorwort zu (
eth
)
Ziel (2) Zuweilen beobachten wir, behaglich ausgestreckt in Schatten eines Baumes am Straßenrande, die Bewegungen eines Landmannes fern auf einem Feld, und nach einer Weile fragen wir uns träge, womit denn der Mann sich wohl abgebe. Wir beobachten die Bewegungen seines Körpers, das Hin- und Herschwenken seiner Arme, sehen ihn sich niederbeugen, sich aufrichten, zögern und dann wieder von vorn anfangen. Erfahren wir den Zweck seiner Mühen, so mag dies den Zauber einer müßigen Stunde mehren. Wenn wir wissen, daß er einen Stein aufhebt, einen Graben ausschachten oder einen Baumstumpf aus der Erde reißen will, dann sehen wir mit wirklicherem Interesse seinen Anstrengungen zu und sind geneigt, den Mißklang zu entschuldigen, mit dem sein Treiben den Frieden der Landschaft gestört hat. Und regt sich in uns brüderliche Gesinnung, dann überwinden wir uns sogar, ihm solch Fehlen zu vergeben. Wir verstehen nun sein Vorhaben, und schließlich, der Mann hat einen Versuch gemacht, und er besaß nicht die Kraft und vielleicht auch nicht die Kenntnis. Wir verzeihen, gehen unseres Weges - und vergessen. Und so verhält es sich auch mit dem Kunstarbeiter. Die Kunst ist lang, und kurz ist das Leben, und der Erfolg liegt oft in weiter Ferne. Und darum, zweifelnd an der Kraft, so weit voranzukommen, sprechen wir noch ein wenig vom Ziel - vom Ziel der Kunst, das wie das Leben selbst begeisternd, schwer zu bewältigen und von Nebeln umhüllt ist. Es liegt nicht in der klaren Logik eines triumphalen Ergebnisses, nicht im Entschleiern eines jener grausamen Geheimnisse, die man Naturgesetze nennt. Es ist nicht minder groß, nur viel schwieriger.
Einen Atemzug lang die mit irdischem Tun beschäftigten
Hände innehalten zu lassen und die vom Fernliegenden
gefesselten Menschen zu nötigen, für einen Moment die Augen auf Form und
Farbe, Sonnenschein und Schatten der Umwelt zu richten, sie verweilen zu
machen für einen Blick, für einen Seufzer, für ein Lächeln - das ist das
Ziel, schwierig, immer wieder schwindend und nur wenigen zu erreichen vergönnt.
Doch zuweilen wird, dank Verdienst und Glück, selbst diese Aufgabe erfüllt.
Und wenn sie erfüllt ist - siehe da, dann offenbart sich die ganze Wahrheit
des Lebens: ein Augenblick der Vision, ein Seufzer,
ein Lächeln - und die Rückkehr zu ewiger Ruhe.
- Joseph Conrad, Vorwort zu: Der Nigger von der ›Narcissus‹.
Eine
Seemann
sgeschichte.
Frankfurt am Main 1978 (zuerst 1897)
Ziel (3) Sie nahm meinen Kopf und drückte
ihn zwischen ihre Brüste, und ihre Brust duftete,
ich machte die Augen zu, und mir war, als wollte ich einschlafen,
so schön waren dieser Duft und diese Rundungen und die Zartheit der Haut,
und sie schob meinen Kopf tiefer und tiefer, und ich schnupperte an ihrem
Bauch, und sie atmete hastig, und das war so verboten schön, daß ich mir
nichts anderes mehr wünschte als dies eine, hierfür wollte ich mir jede
Woche achthundert Kronen und mehr mit den heißen Würstchen verdienen, weil
ich nun ein schönes und erhabenes Ziel hatte, wie mein Papa immer gesagt
hatte: Immer sollte ich ein Ziel vor Augen haben, dann würde ich errettet
werden, weil es etwas gäbe, wofür ich leben konnte. Vorerst aber waren
wir noch auf halbem Wege. - Bohumil Hrabal, Ich habe den englischen
König bedient. Frankfurt am Main 1990 (zuerst 1971)
Ziel (4) Warum wurde die Arbeit
so gepriesen und auf den Thron des Ruhmes und der Lobpreisung gesetzt,
die Faulheit dagegen an den Pranger gestellt, alle
Faulen mit Schmach und dem Brandmahl des Lasters, der Mutter der Faulheit,
bedeckt, jeder Arbeitende aber mit Ruhm und Gaben bedacht und gefeiert?
Mir kam es immer so vor, als müsste es umgekehrt sein: Die Arbeit muss
verflucht werden, wie es auch die Legenden vom Paradies
überliefern, die Faulheit aber sollte das sein, wonach der Mensch zu streben
hat - Kasimir Malewitsch,
Faulheit
- eigentliche Wahrheit der Menschen (1921)
Ziel (5)
Des Dichters Ziel ist das Wunderbare. |
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GIAMBATTISTA
MARINO, nach: Gustav René
Hocke, Manierismus in der Literatur. Sprach-Alchimie und esoterische Kombinationskunst.
Reinbek bei Hamburg 1969 (rde 82/83, zuerst 1959)
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