Zentrum   Die Sternenwelt scheint auch ohne mein Verschulden in Verwirrung geraten zu sein. Ich weiß nämlich nicht, ob Ihr vor lauter Sorgen um Scheidemann bemerkt habt, daß voriges Jahr eine epochemachende Entdeckung gemacht worden ist: Der Engländer Walkey soll »das Zentrum des Weltalls« entdeckt haben, und das wäre der Stern Kanopus im Bilde Schiff Argo (südliche Hemisphäre), der »nur« 500 Lichtjahre von uns entfernt und etwa l ½  Millionen Mal größer ist als die Sonne. Diese Dimensionen imponieren mir nun gar nicht, ich bin abgebrüht. Aber eine andere Sorge habe ich: Ein Zentrum, um das sich »alles« bewegt, verwandelt das Weltall in eine Kugel. Nun finde ich es von vollendeter Abgeschmacktheit, mir das Universum als eine Kugel — eine Art großen Kartoffelkloß oder Eisbombe — vorzustellen. Diese Symmetrie der Figur ist gerade in diesem Fall, wo es »ums Ganze« geht, eine ganz kleinbürgerliche, platte Vorstellung. Sodann aber geht doch dabei nicht mehr und nicht minder wie die Unendlichkeit des Universums flöten. Denn eine »kugelförmige Unendlichkeit« ist doch Blech. Und ich muß zu meinem geistigen Komfort unbedingt noch irgend etwas außer der menschlichen Dummheit als unendlich denken können! Wie Du siehst, habe ich buchstäblich »die Sorgen des Herrn von Kant«. Was meint dazu Hans Naivus oder sein gelehrter Filius? Schreib jetzt gleich einen ordentlichen Brief de omnibus rebus, sonst exmittiere ich Dich aus der Hauptkammer meines Herzens, wo Du gleich neben Mimi sitzest, in eine Nebenkammer. - Rosa Luxemburg an Luise Kautsky (26. Januar 1917). Nach: R.L., Gesammelte Briefe 5. Berlin 1987

Zentrum (2)

Hierbei, o Memmius, mußt du dem Glauben von Grund aus entsagen,
Daß nach der Mitte der Welt (so redet man) alles sich dränge;
Und so könne die Welt auch ohne die Stöße von außen
Feststehn, ohne sich irgendwohin auseinander zu lösen.
Alles, was oben und unten, sei stets auf die Mitte gerichtet.
Danach glaubst du an etwas, das auf sich selber sich hinstellt,
Glaubst, daß gewaltige Massen, die unter der Erde sich finden,
Aufwärtsfliehn und verkehrt auf der Erde sich lagern und ruhen,
Wie wir im Wasser verkehrt jetzt Spiegelbilder erblicken.
Und auf ähnliche Weise (behauptet man) gingen dort aufrecht
Alle Geschöpfe. Sie könnten auch nicht von der Erde gen Himmel
Fallen dort unten, so wenig wie unsere Körper vermöchten
Selbst und mit eigener Kraft zu den Räumen des Himmels zu fliegen.
Jene bekämen die Sonne zu sehen, wenn wir die Gestirne
Sehen der Nacht, und sie teilten mit uns die Zeiten des Himmels
Wechselsweis: es entspräche ihr Tag so unserer Nachtzeit.

Doch dies alles ist Wahn, der den Irrtum zeugt bei den Toren,
Weil sie von Anfang an sich in falsche Methoden verstrickten.
Denn da, alles sich dehnt ins Unendliche, fehlt ihm die Mitte.
Doch selbst gab' es die Mitte, warum denn sollte man glauben,
Daß nun grad' m die Mitte sich irgendein Körperchen drängte
Eher, als weiter zu schweifen auf andrem beliebigen Wege.
Denn ein jeglicher Ort und Raum, den Leeres wir nennen,
Muß vor gewichtigen Massen in gleichem Verhältnisse weichen,
Ob zu mitten, ob nicht, wohin sie sich grade bewegen.

Auch ist nirgend ein Punkt, wo die Körper, sobald er erreicht war,
Könnten im Leeren sich halten, als ob sie die Schwere verloren.
Auch darf nichts, was leer ist, für irgendwas Grundstein werden,
Sondern es muß stets weichen, wie seine Natur es erfordert.
Also können die Dinge nicht etwa, dem Drang nach der Mitte
Folgend, nach diesem Gesetze den Zwang zur Vereinigung fühlen.
Übrigens leihn sie ja doch durchaus nicht sämtlichen Körpern
Jenen Drang nach der Mitte, vielmehr nur dem Naß und der Erde,
Also den Wogen des Meers und den mächtigen Wassern der Berge
Und was etwa im All erdartigcn Körper besitze;
Aber hingegen die Dünne der Luft und die Hitze des Feuers
Strebe (so fahren sie fort) von der Mitte weg stetig nach oben;
Darum fhmmre der Äther ringsum vom Sternengefunkel
Und auf der Weide des Himmels ergehe sich flammend die Sonne,
Weil dort sämtliche Glut aus der Mitte entweichend sich sammle;
Auch vermöge das Laub in den Kronen der Bäume durchaus nicht
Zu ergrünen, sofern nicht die Erde die Nahrung für jeden
Mählich spendete, da sich der Saft von hier ans verbreite:
Nun, dies Dogma der Gegner ist ganz unhaltbar und irrig,
Wie ich an späterem Orte ausführlich werde beweisen.
So will jetzt ich nur dies, damit du nicht irrest, erwidern:
Wenn nicht besondere Kräfte die Körper in andere Richtung
Treiben, muß alles nach unten der Schwerkraft folgend sich stürzen.
So ist zu fürchten, daß einst, wenn die Fugen der Welt nicht mehr halten,
Ihre Atome zerflatternd hinab in das Endlose fallen,
Daß wie fliegende Flammen die Mauern des Firmamentes
Plötzlich sich lösen und rasch im unendlichen Leeren zerstieben,
Und auch die übrige Welt dem gegebenen Beispiel folge,
Daß aus der Höhe herab lautdonnernd die Himmelsgewölbe
Stürzen und plötzlich die Erde zu unseren Füßen sich senke
Und in der Abgrundtiefe des Leeren sich gänzlich verliere,
Während das All mit dem Himmel zerkracht in gemeinsamem Einsturz,
Der die Körper zerstreut, um im Nu nichts übrig zu lassen
Als den verwaisten Raum und die unsichtbaren Atome.
Denn wo irgend zuerst ein wirklicher Mangel an Urstoff
Eintritt, öffnet sich gleich für die Dinge die Pforte des Todes:
Da wird wirbelnd ins Weite sich stürzen der sämtliche Urstoff. 

- (luk)

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