Zentralbank   Der Krämer erklärte mir, wie man ohne Schlüssel öffnen konnte: zuerst an der Klinke ziehen, dann rütteln und nach oben drücken, dann gingen beide Türflügel auf, da es keine Riegel gab.

»Schlüssel gibt es«, sagte der Krämer, »nur habe ich ihn nicht. Wer das Geheimnis, wie die Tür geöffnet wird, weiß, kommt ungehindert hinein. Aber sprechen Sie zu niemandem davon, und schließen kann man sowohl von innen, als auch von außen, man braucht nur die Tür zuzuschlagen. Wenn Sie hinaus wollen, sehen Sie zuerst nach der Treppe. Dafür gibt es ein Fenster (und wirklich war an der Wand neben der Tür in Gesichtshöhe ein Guckloch mit zerschlagenem Glas zu sehen). Ich gehe nicht mit Ihnen hinein, Sie sind ein gebildeter Mensch und werden selbst sehen, wie Sie es sich hier am besten häuslich machen können. Ich füge nur hinzu, daß man hier eine ganze Kompanie verbergen kann. Übernachten Sie hier etwa dreimal; sobald ich eine Unterkunft finde, werde ich Sie unverzüglich benachrichtigen. In diesem Zusammenhang — entschuldigen Sie, daß ich ein heikles Thema berühre, aber essen und trinken muß jeder - geruhen Sie, bis zur Besserung Ihrer Umstände ein Darlehen anzunehmen.«

Er öffnete eine dicke Brieftasche, schob in meine reglos gesenkte Hand einige Geldscheine, wie einem Arzt für seine Visite, wiederholte seine Anweisungen und ging weg, und ich setzte mich, nachdem ich die Tür zugemacht hatte, auf eine Kiste. Sogleich begann die Stille, die wir immer in uns hören, mich wie ein Wald mit den Klängen des Lebens zu locken. Sie verbarg sich hinter der halbgeschlossenen Tür des Nachbarzimmers. Ich stand auf und begann umherzugehen. Ich durchschritt der Reihe nach die Türen der hohen, großen Säle mit dem Gefühl eines Menschen, der auf das erste Eis tritt. Rings um mich war es geräumig, jedes Geräusch rief ein Echo hervor. Kaum hatte ich eine Tür hinter mir gelassen, schon sah ich gegenüber und zu beiden Seiten andere Türen, die in eine trüb schimmernde Perspektive mit noch dunkleren Eingängen führten. Die Parkettböden waren mit Papier bedeckt wie eine Straße mit schmutzigem Schnee im Frühjahr. Die Menge des Papiers erinnerte an Schneewehen, die beim Straßenkehren umgewälzt werden. In einigen Räumen mußte man gleich von der Tür an durch bewegliche Papierhaufen waten, die bis zu meinen Knien reichten.

Papier aller Art, für alle Verwendungszwecke und in allen Farben verbreitete hier seine Allgegenwärtigkeit mit wahrhaft elementarem Schwung. Sein Geröll wurde an den Wänden hochgeschwemmt, es hing von den Fensterbrettern hinab, von einem Parkett zum anderen ergoß sich seine weiße Flut, es strömte aus weit aufgerissenen Kästen, füllte die Ecken aus, bildete stellenweise Barrieren und umgegrabene Felder. Notizblöcke, Formulare, Hauptbücher, Einbandetiketten, Ziffern, Linien, gedruckte und handschriftliche Texte — der Inhalt von Tausenden Kästen lag vor den Augen ausgebreitet - erdrückt von diesen Ausmaßen, wußte man nicht, wo man hinsehen sollte. Jedes Rascheln, das Hallen der Schritte und sogar mein eigener Atem drangen direkt ans Ohr — so groß, so überwältigend war diese Wüstenstille.   - Alexander Grin, Der Rattenfänger. In: Phantastische Welten, Hg. Franz Rottensteiner. Frankfurt am Main 1984 (Phantastische Bibliothek 137)

 

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