eitfenster Von der Anhöhe, die sie entlanggingen, sah man auf die Ebene hinunter, wo das blutige Gemetzel stattgefunden hatte. Der Boden war mit Leichen übersät. Geier saßen still darauf, krallten sich an Schultern oder Gesichtern der Toten fest und neigten die Schnäbel, um die zerquetschten Leiber zu durchstöbern.
Die Geier können diese Arbeit nie sofort nach der Schlacht beginnen. Kaum
neigt sich der Kampf dem Ende zu, lassen sie sich herab. Das Feld ist jedoch
mit Toten bedeckt, die festverpanzert sind durch stählerne Harnische. Die Schnäbel
der Raubvögel hämmern dagegen, ohne sie auch nur ritzen zu können. Sobald es
Abend wird, kriechen leise, auf dem Bauch, von beiden entgegengesetzten Lagern,
die Leichenfledderer heran. Die Geier sind wieder
aufgestiegen und kreisen am Himmel, bis die Fledderer ihr Werk beendet haben.
Das erste Morgenlicht ergießt sich über ein von nackten Toten weißschimmerndes
Feld. Nun lassen sich die Geier wieder herab und beginnen den großen Festschmaus.
Sie müssen sich jedoch sputen. Es währt nicht lange, bis die Totengräber
zur Stelle sind, die den Vögeln verweigern, was sie den Würmern zugestehen.
- (
ritt
)
Zeitfenster (2) Als tanzten wir ganz eng einen Tango, gelangten wir zum Bett, ich fiel über sie her, aber sie glitt zur Seite, und, uns immer noch küssend, begannen wir, uns auszuziehen. Ich sah, daß es ihr so ging wie mir, daß sie sich im Bett nur wohlfühlte, wenn an die ganze Haut frische Luft kam.
»Nur keine Hast«, sagte sie, als ich sie von oben bis unten mit den Händen
abtasten wollte. »Wir haben die ganze Nacht, mein Mann kommt erst um halb acht
zurück.« Ich nahm die Mitteilung zur Kenntnis, aber es war mir völlig egal,
die Blondine glühte vor Erregung, im Grunde schien sie es eiliger zu haben als
ich und ließ mir fast keine Zeit, sie zu erkunden, sie mit den Fingern und dem
Mund zu suchen, bevor ich den Bogen ihrer Beine spürte und in eine rote Glut
eindrang, mich in blonden Lianen verfing, die mir in die Augen und in den Mund
hingen, Finger wie aus Bronze spürte, die mich schlugen und streichelten, während
eine brüchige, keuchende Stimme immer wieder »jetzt, jetzt« sagte, »mehr, mehr«
verlangte, »so, so« entschied, bis zu einer ersten Hingabe, die nicht sehr lange
dau-erte; dann der Whisky aus der Bar, die von mir kommentarlos hingenommene
Entdeckung, daß sie rauchen konnte wie ein Schlot, eine Wegstrecke von zwei
Stunden mit Schlafintervallen und Zärtlichkeiten und weiteren Drinks, und gegen
Morgen erneut die Liebe, aber diesmal gestattete die Blondine, die übrigens
Norma hieß, nicht, daß ich meinen Vorlieben frönte oder zum Wiederholungstäter
wurde, sondern legte sich mit dem Rücken zu mir auf die Seite, zog mich langsam
an sich und sagte einen der wenigen Satze, die sie in dieser Nacht sagte: »Komm
ganz sachte rein und leg dein Bein über meines.« Ich tat es natürlich, obwohl
es keine meiner Lieblingsstellungen ist, und Norma empfand fast sofort Wollust,
jetzt zitterte sie von Kopf bis Fuß, während sie eine Art ersticktes Röhren
von sich gab, ein heiseres Stöhnen, das anhielt und anhielt und wie zum Vorwurf
abbrach, als ich nicht mehr konnte und mich dem Orgasmus hingab, ohne diese
Lust verlängern zu können, die ich ihr, wie jeder Mann, der etwas auf sich hält,
gerne noch weiter gegeben hätte. Ich träumte von Spielzeugeisenbahnen, von Sonia,
die mir etwas von ihrer Mutter erzählte, von einem Pferderennen. - Julio Cortázar, Carol Dunlop: Die Autonauten auf der Kosmobahn. [Für
'Dash' und Raymond Chandler...] Frankfurt am
Main 2014 (BS 2481, zuerst 1983)
Zeitfenster (3) Er joggte in Trainingsanzug
und Laufschuhen auf der anderen Straßenseite auf und ab und stellte fest, dass
Barron die Leiter alle zwölf Minuten ein Stück weiterrückte und danach vermutlich
neu anband. Barron war deshalb nur zu erwischen, wenn er wieder die Leiter hinaufgestiegen
und gerade dabei war, sie mit dem Seil neu zu sichern — in einer Zeitspanne
von nicht mehr als einer Minute also. Das musste genügen. - Colin Dexter,
Und kurz ist unser Leben. Reinbek bei Hamburg 2000
Zeitfenster (4)
Dicke formulierte das Problem so, daß die Expansionsrate des Universums
eine Sekunde nach dem Urknall mit einer Genauigkeit von 1 zu 1014
abgestimmt hatte sein müssen. Wäre die Expansionsrate nur um 1 zu 1014
höher gewesen, hätte sich das Universum ausgedehnt, ohne daß sich Galaxien gebildet
hätten. Wäre die Rate dagegen 1 zu 1014 niedriger gewesen, dann wäre
das Universum schon vor langer Zeit kollabiert. - Dennis Overbye, Das Echo des Urknalls. München
1993
Zeitfenster (5)
Zeitfenster (6) Sämtliche
Mitglieder des Lehrkörpers schienen nach einem anstrengenden
akademischen Jahr das dringende Bedürfnis nach einem Ortswechsel
verspürt zu haben. Nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, durchzuckte
Morse plötzlich der wilde Gedanke, daß, falls jemand vorhätte, einen der
ältlichen, unverheirateten Oxford-Dons um die Ecke zu bringen, die
Ferien dafür geradezu ideal geeignet wären. Da es keine Ehefrau gab, die
Alarm schlug, keine Söhne oder Töchter, die sich von irgendwoher
meldeten und ihren Vater zu sprechen wünschten, und nicht einmal eine
Vermieterin existierte, die eventuell die rückständige Miete reklamiert
hätte, würde bis Mitte Oktober überhaupt niemand auf die Idee kommen,
daß ihm etwas zugestoßen sein könnte.
Andererseits - wer hatte schon Interesse daran, einen Professor umzubringen? - Colin Dexter, Das Rätsel der dritten Meile. Reinbek bei Hamburg 1988
|
||
|
||