eitausfluß Es
ist merkwürdig, vierzig zu werden. Schon auf dem Weg zum Schildasteig beginnen
die Gemeinheiten: in dem kaum veränderten Straßenzug plötzlich hier ein neuer
„Kauf-dich-reich"-Laden, da eine Schnellwäscherei. (Statt der Kastanien,
die du mit siebzehn wegen der Suse ansangst, eine Schnellwäscherei: undenkbar;
das Plakat des Gemeinderats Schindler „Wir und die Folgen des Venusfluges"
ist dir altem Dominikfresser viel weniger utopisch.) Und dann steigen die Mädchen
zu, dein bewährtes Versatzstück, du Selbstinszenierer: wieder die violettmantligen,
rosehaarigen, katzpfotenstimmigen, denn der Mühlengrund ist eine zarte, gedämpfte,
behutsame Gegend (niedrigster Morddurchschnitt in ganz St. Demeter). Eva, die
Chemikerin, ist wenig verändert; sie sucht ihren Fahrschein endlos in ihrem
Basttäschchen, wirft das Haar zurück, riecht nach Essig. Du sprichst sie an,
aber sie sagt, das wäre ein Irrtum, sie hieße nicht Eva. Eigentlich muß es stimmen,
denn das Mädchen ist siebzehn. Eva aber wäre heute vierzig. Verzeihen Sie, sagst
du, ich irrte mich um ein Vierteljahrhundert. Bis in die Amizeit zurück. Was
ist die Amizeit?, fragt das Mädchen. Sie ist zu dir sehr höflich, denn du bist
60% weißhaarig und 30% übergewichtig, was den Altersunterschied optisch erhöht.
Du begreifst, daß die Szenerie und du selbst unverändert geblieben sind, aber
ein Medium namens Zeit mittlerweile ausgeflossen ist und neue Spielregeln schafft.
Der Zeitausfluß vermag sonst schwer wahrgenommen zu werden, denn er kann nicht
einmal den alten Geruch von Neuschnee-im-April umduften. Bei der Birke steigt
Eva wie gewohnt aus, Inge und Lili aber steigen ein, haben Pastellgesichter
und drücken den winzigen lebenden Hund in der Einkaufstasche. Inge und Lili
sind erst funfunddreißig, sie wohnen in Quebec, Canada. -
(met)
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