Zeitanomalie    Es gibt einen Teil der Nacht, von welchem ein Einsiedler sagen wird: „Horch! jetzt hört die Zeit auf!" Bei allen Nachtwachen, insbesondere wenn man sich auf ungewöhnlichen nächtlichen Fahrten und Wanderungen befindet, hat man in bezug auf diesen Teil der Nacht (ich meine die Stunden von eins bis drei) ein wunderliches, erstauntes Gefühl, eine Art von „viel zu kurz!" oder „viel zu lang!", kurz den Eindruck einer Zeitanomalie. Sollten wir es in jenen Stunden, als ausnahmsweise Wachende, abzubüßen haben, daß wir für gewöhnlich um jene Zeit uns in dem Zeitchaos der Traumwelt befinden? Genug, nachts von eins bis drei haben wir „keine Uhr im Kopfe". Mich dünkt, daß eben dies auch die Alten ausdrückten mit „in-tempestiva nocte" , also „da in der Nacht, wo es keine Zeit gibt"  (Äschylos); und auch ein dunkles Wort Homers, zur Bezeichnung des tiefsten, stillsten Teiles der Nacht, lege ich mir etymologisch auf diesen Gedanken zurecht, mögen die Übersetzer es immerhin mit „Zeit der Nachtmelke" wiederzugeben glauben: — wo in aller Welt war man denn je dermaßen töricht, daß man da die Kühe des Nachts zwischen eins und drei melkte!  - Friedrich Nietzsche, "Die Unschuld des Werdens" (Nachlaß)
 

Zeitwahrnehmuung Anomalie

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