eit
ausfüllen
In der Zeit zwischen ihrem Abflug und ihrer Wiederkehr führte
ich das Leben eines Vollblutschizerino. Es verstrich keine Ewigkeit, denn irgendwie
hat die Ewigkeit mit Frieden und Sieg zu tun, sie ist Menschen werk, etwas Verdientes:
nein, ich durchlebte einen Zwischenakt, bei dem jedes Haar bis zur Wurzel weiß
wird, jeder Millimeter Haut juckt und brennt, bis der ganze Körper eine nässende
Wunde wird. Ich sehe mich noch im Dunkeln an einem Tisch sitzen, meine Hände
und Füße wachsen ins Riesige, so als sei ich von der galoppierenden Elefantiasis
befallen. Ich höre das Blut ins Gehirn schießen und wie Himalajateufel mit Schmiedehämmern
gegen das Trommelfell schlagen. Ich höre ihre großen Schwingen rauschen, wäre
sie auch in Irkutsk, und ich weiß, daß sie weiter und weiter in unerreichbare
Fernen vorstößt. Es herrscht eine solche Stille und schreckliche Leere im Zimmer,
daß ich schreie und brülle, nur um ein Geräusch, einen menschlichen Laut hervorzurufen.
Ich versuche mich vom Tisch zu erheben, aber meine Füße sind zu schwer und meine
Hände zu formlosen Rhinozerosfüßen geworden. Je schwerer mein Körper wird, desto
leichter wird die Atmosphäre des Zimmers; ich dehne und weite mich aus, bis
ich wie eine feste, steife Gallertmasse das Zimmer ausfülle. Sogar die Sprünge
in der Wand werde ich ausfüllen; ich werde durch die Mauern wachsen wie eine
Schmarotzerpflanze, wachsen und wachsen, bis das ganze Haus eine unbeschreibliche
Masse von Fleisch, Haaren und Nägeln ist. Ich weiß, das ist der Tod, aber ich
bin machtlos, dieses Wissen oder den Wissenden zu töten. Nur noch ein winziges
Teilchen von mir ist lebendig, eine Spur von Bewußtsein behauptet sich, und
wie der leblose Leichnam sich ausdehnt, wird dieser Lebensfunke schärfer und
schärfer und funkelt in mir wie das kalte Feuer eines Edelsteins. Er erleuchtet
die ganze klebrige Fleischmasse, und ich bin wie ein fackel tragen der Taucher
im Leib eines toten Seeungeheuers. Durch einen dünnen, verborgenen Faden bin
ich noch mit dem Leben oberhalb der Tiefe verbunden, aber diese Welt dort oben
ist so weit weg und das Gewicht des Leichnams so groß, daß es, sogar wenn es
möglich wäre, Jahre brauchen würde, die Oberfläche zu erreichen. Ich bewege
mich in meinem eigenen toten Leib) untersuche jeden Winkel und jede Spalte seiner
riesigen, formlosen Masse. Es ist eine unaufhörliche Erkundung, denn mit dem
ununterbrochenen Wachsen ändert sich die ganze Topographie, gleitend und fließend
wie das heiße Magma der Erde. Nicht einen Augenblick berühre ich festen Grund;
nichts bleibt auch nur für einen Augenblick ruhig und erkennbar: es ist ein
Wachstum ohne Markstein, eine Reise, bei der sich das Ziel mit der kleinsten
Bewegung oder Erschütterung ändert. Dieses endlose Ausfüllen des Raumes tötet
jedes Gefühl für Raum oder Zeit; je mehr sich der Körper weitet, desto winziger
wird die Welt, bis ich zuletzt fühle, daß alles auf einem Stecknadelkopf zusammengedrängt
ist. Trotz des Taumeins der toten Masse, die ich geworden bin, fühle ich, daß
das, was ihr Halt verleiht, die Welt, aus der sie entsteht, die Größe eines
Stecknadelkopfes hat. Mitten in der Pollution, sozusagen in Herz und Magen des
Todes, fühle ich instinktiv den Keim, den wunderbaren, unendlichen kleinen Hebel,
der die Welt im Gleichgewicht hält. Wie mit Sirup habe ich die Welt überzogen,
und ihre Leere ist erschreckend, aber der Keim läßt sich nicht ausreißen; er
ist bereits ein kleiner Knoten kalten Feuers geworden, das wie eine Sonne in
dem weiten Hohlraum des toten Rumpfes braust. - (wendek)
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