ehren  HAUPTMANN.   Gerührt: Woyzeck, Er ist ein guter Mensch, - aber mit Würde: Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht Er. Es ist ein gutes Wort. Er hat ein Kind ohne den Segen der Kirche, wie unser hochehrwürdiger Herr Garnisonsprediger sagt, - ohne den Segen der Kirche, es ist nicht von mir.

WOYZECK. Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum ansehen, ob das Amen drüber gesagt ist, eh er gemacht wurde. Der Herr sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen.

HAUPTMANN. Was sagt Er da? Was ist das für eine kuriose Antwort? Er macht mich ganz konfus mit seiner Antwort. Wenn ich sag: Er, so mein' ich Ihn, Ihn -

WOYZECK. Wir arme Leut - Sehn Sie, Herr Hauptmann: Geld, Geld! Wer kein Geld hat - Da setz einmal eines seinesgleichen auf die Moral in die Welt! Man hat auch sein Fleisch und Blut. Unsereins ist doch einmal unselig in der und der ändern Welt. Ich glaub, wenn wir in Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen.

HAUPTMANN. Woyzeck, Er hat keine Tugend! Er ist kein tugendhafter Mensch l Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg, wenn's geregnet hat, und den weißen Strümpfen so nachseh, wie sie über die Gassen springen - verdammt, Woyzeck, da kommt mir die Liebe l Ich hab auch Fleisch und Blut. Aber, Woyzeck, die Tugend! die Tugend! Wie sollte ich dann die Zeit herumbringen? Ich sag mir immer : du bist ein tugendhafter Mensch, gerührt ein guter Mensch, ein guter Mensch.

WOYZECK. Ja, Herr Hauptmann, die Tugend, - ich hab's noch nit so aus. Sehn Sie: wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt einem nur so die Natur; aber wenn ich ein Herr war und hält ein' Hut und eine Uhr und eine Anglaise und könnt vornehm reden, ich wollt schon tugendhaft sein. Es muß was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl!

HAUPTMANN. Gut, Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber du denkst zuviel, das zehrt; du siehst immer so verhetzt aus. - Der Diskurs hat mich ganz angegriffen. Geh jetzt, und renn nicht so; langsam, hübsch langsam die Straße hinunter! - Georg Büchner, Woyzeck

Zehren (2)  Als Sechzehnjähriger schrieb Pascal seine Arbeit „Essai sur les coniques" (Versuch über die Kegelschnitte), in der er den Beweis für ein sehr bedeutsames Theorem der Geometrie erbrachte. Sein Vater, der eine übermäßige geistige Erschöpfung des Jungen befürchtete, versagte ihm eine Zeitlang Bücher und bat auch die Freunde, das Kind nicht mit wissenschaftlichen Gesprächen zu vergiften. Später stellte sich heraus, daß das Handeln des Vaters durchaus begründet war. Die sehr intensiven wissenschaftlichen Beschäftigungen führten dazu, daß Pascal vorzeitig ermüdete, seine Kräfte ließen nach, er neigte zur Schwermut. Nachdem er einmal wie durch ein Wunder dem Tod entronnen war, gab er die wissenschaftlichen Arbeiten auf und wandte sich der Religion zu.  - Vladimir Petrovič Karcev und Petr Michailovič Chazanovskij, Warum irrten die Experten? Unglücksfälle und Katastrophen aus der Sicht rechnischer Zuverlässigkeit. Berlin 1990 (zuerst 1980)
 
 

Verkleinerung Fressen Aussaugen

 

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