echpreller
Wenn ich, was schon abzusehen war, meine Rechnung in diesem Lokal
nicht bezahlen konnte, setzte ich meinen Abstieg,
der an diesem Freitag begonnen hatte - so wie er an
den meisten Tagen einmal begann ... und beinahe immer dann, wenn die Kraft,
ihn links liegenzulassen, gering war - folgerichtig fort; während die Welt ruhig
weiter funktionierte, hatte das Taumeln auf dieser schiefen Bahn bereits begonnen.
Es bedurfte nur allerkleinster Anstöße ... Bahnhöfe
sind die vorzüglichsten Vorgaben für solche Anstöße ... um in den Tiefen der
Stadt, hinter dem Bahnhof, zu landen, dort, wo eine Flucht die nächste nach
sich zöge. Zur Genüge kannte ich diese Gestalten, die allnächtlich, wenn die
Transportpolizei ihre letzte Runde hinter sich hatte, in den Restaurants auftauchten,
als hätte die Schattenwelt sie ausgespuckt, die zu zweit oder zu dritt sich
eine Tasse Kaffee teilten, abgerissen und übernächtigt versuchten, die Köpfe
auf den erdgrauen Unterarmen, sich eine Stunde Schlaf zu stehlen, unter dem
Tisch die vom dauernden wachsamen Schlenderschritt wassersüchtig gewordenen
Füße, die dickgeschwollen aus den geplatzten Schuhen quollen. Bis sie wieder
hinausgejagt wurden, verschwitzt und fliegenumschwärmt, und es war eine Gnade,
wenn sie bloß verjagt wurden. Sie alle warteten seit jenem Tag ihrer ersten
harmlosen Zechprellerei darauf, daß nicht ihnen, daß endlich der Welt ein Unheil
geschah. -
Wolfgang Hilbig, Fester Grund. In: W.H., Grünes grünes Grab. Frankfurt am Main
1993
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