auber,
süßer
Therese war älter als Marie, graziös, sehr blaß, mit einem natürlichen
Lockengewirr an der Stirn und über den Ohren. Ihr unordentliches kastanienbraunes
Haar paßte zu dem kindlich blassen Gesicht, das ein gradezu süßer Zauber belebte.
Man entdeckte erst langsam, von wo der Reiz ihres Gesichts, beim Lächeln, Sprechen
und in der Ruhe ausging: ihr linker Mundwinkel hing, die ganze linke Seite bewegte
sich schwer, während das rechte Gesicht vibrierte. Der Richter Partenay war
ihr zweiter Mann, von dem ersten sagte sie nichts. Sie ging mit dem jungen Richter
schlecht um. Marie erfuhr in dem Kreis Klinkerts, daß man davon wußte und nicht
gut von ihr dachte. Therese zog ab und zu junge Männer, denen sie hie und da
begegnete, wie sie Marie begegnet war, an sich und führte sie zu Hause bei sich
ein. Sie überließ es dem Richter, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Die jungen
Leute, die ungern der Frau in ihre Wohnung folgten, aber sich von der zauberhaften
Person nicht losreißen konnten, bemerkten dann zu Hause die innige Liebe der
Frau zu ihrem Mann. Der Richter war höflich, freundlich, geduldig. Um das Zweifelhafte
der Situation zu verschleiern, lud Therese noch eine Dame ein, so daß man sich
meist zu viert im Hause des Richters unterhielt. In dem Streit mit dem Richter,
während er litt, sie verlassen wollte, war ihr wohl, und ihre Neigung zu ihm
war so groß wie sonst nie, und so erlag er ihr immer. Ihren Liebhaber bemutterte
sie wie ein großes Mädchen seine Puppe, sprach kindisch dumm, zärtlich zu ihm.
Sie gab sich aber nie ganz hin, auf ungezogene Hände schlug sie und verbat sich
Unschicklichkeiten, konnte dann wieder himmlisch gut sein und um Verzeihung
bitten und blieb das volle Glück der jungen Leute, das, wie sie gleich fühlten,
noch die Träume vieler späterer Jahre ausfüllen würde. Die Liebe Thereses fiel
immer unerwartet, unvorbereitet auf sie. Sie präparierte sich lange auf einen
Menschen, dann dauerte es nicht lange. Es war in der Tat ein Turnus. Sie bewältigte
langsam und energisch die Erregung und das Widerstreben ihres Mannes, er mußte
sanfter und sanfter werden, und dann — verlor sie auch das Interesse an ihrem
Liebhaber.
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Alfred Döblin, Amazonas. Romantrilogie. München 1991 (entst. 1935-37)
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