Wenn die Null, die eine unwirkliche, fiktive Zahl ist, derartige Zerstörungen bewirken kann, so ist es ratsam, den anderen Zahlen noch weniger zu trauen. Wenn du tausend sagst, so kann das tausend Dank oder tausend Lire betreffen, aber es können auch tausend Mörder, tausend Schlangen, tausend Nullen sein. Hinter jeder Zahl können sich so viele Gefahren verbergen als Einheiten, aus denen diese Zahl besteht. Man muß aber nicht nur den Zahlen, sondern auch den Zwischenräumen zwischen einer Zahl und der andern mißtrauen.
In der Tat gibt es zwischen zwei aufeinanderfolgenden Zahlen immer eine leere Zone, die groß oder klein sein kann, eine Wiese oder eine Wüste, ein See oder ein Berg, sie kann alles sein. In dieser unbekannten Zone versteckt sich oft die Gefahr. Es ist schwierig sich gegen die Zahlen zu verteidigen, weil man ihnen überall begegnet. Halte deshalb deine Augen offen und wenn du eine siehst, ob sie nun groß oder klein ist, versuch auf eine andere Seite zu gehen, flieh, wenn du kannst, es ist nie ratsam, sich ihr direkt zu stellen. Wenn du Zahlen auswendig weißt, so versuch sie zu vergessen, du wirst viel mehr Platz für deine Gedanken haben.
Die Zahlen, auch wenn man lang über sie nachdenkt, werden nie Gedanken.
- (
ma2
)
Zahlen (2) Als kleiner Junge zeigte ich eine
ungewöhnliche mathematische Begabung, die mir
während meiner höchst untalentierten Jugend völlig abhanden kam. Diese
Gabe spielte eine furchtbare Rolle, wenn ich mit Angina oder Scharlach
kämpfte und ungeheure Kugeln und gewaltige Zahlen in meinem schmerzenden
Gehirn erbarmungslos anwachsen fühlte. Ein törichter Hauslehrer hatte mir
viel zu früh die Logarithmen erklärt, und in einer englischen Zeitung (dem
Boy's Own Paper, glaube ich) hatte ich von einem gewissen Hindu-Rechenkünstler
gelesen, der in genau zwei Sekunden die siebzehnte Wurzel
etwa aus 3529471 145760275 132 301 897 342055 866 171 392 finden konnte
(ich bin nicht sicher, ob ich die Zahl richtig hinbekommen habe; jedenfalls
war das Ergebnis 212). Solches waren die Ungeheuer, die in meinem Delirium
gediehen, und die einzige Art, zu verhindern, daß sie mich aus mir selbst
verdrängten, war, ihnen das Herz aus dem Leib zu reißen. Doch sie waren
viel zu stark, und ich setzte mich auf und formte mühselig verstümmelte
Sätze, um meiner Mutter alles zu erklären. - (
nab
)
Zahlen (3) Die mathematische Grösse ist dreigeteilt in drei Dimensionen, und zwar durch die Dimensionen Linien, Flächen und die Körper.
Für die Zahl sechs steht die Beseelung der Lebewesen in der Natur.
Die Zahl vier steht für die mathematische Grösse als solche.
Vernunft, Gesundheit und das "Pythagoräische Licht" werden durch die Zahl sieben ausgedrückt.
Die Zahl fünf bezeichnet die Qualität der Dinge in der Natur und die Farbe.
Die Achtzahl bezeichnet schlussendlich Liebe
und Freundschaft sowie Rat
und Absicht. -
Pythagoras
Zahlen (4)
- C. W. Ceram,
Götter Gräber und Gelehrte. Reinbek bei Hamburg 2000 (zuerst 1949)
Zahlen (neurotische,
5),
soweit sie in der Neurose und besonders im Traume eine
dominierende Rolle spielen, sind gewöhnlich geschlechtliche Symbole. Der Einser
bedeutet den Anus (das Einauge); der Zweier symbolisiert das Paar in der geschlechtlichen
Vereinigung, den Coitus als solchen, überdies die paarigen sexuellen beziehungsweise
erogenen Organe, wie Hoden, Brüste, Hinterbacken. Der Dreier
ist gleich einem Dreiecksverhältnis; kann auch das
ganze männliche Genitale symbolisieren (Penis + Hoden). Der Vierer erinnert
an den im Volk gebrauchten Ausdruck: »Vier Buchstaben« für Popo
(Podex). Der Fünfer führt zu den fünf Fingern und verrät die Onanie
(»Alle Fünfe« - soll in Spanien und Arabien als Schmähwort für den Onanisten
gelten). Die Zahl fünf kann sich auch auf die fünf Zehen beziehen: Fußfetischismus.
Der Sechser ist ebenfalls auf die Onanie zurükzuführen (66 ist ein volkstümlicher
Ausdruck für Onanie); der Sechser in Verbindung mit dem Neuner (69) bezeichnet
eine Stellung beim Coitus (soixante-neuf). Die Zahl sechs hat auch eine allgemeine
Beziehung zur Sexualität und zwar durch deren Klang (sechs = sex). Der Siebener
bedeutet Glück in der Liebe. Der Achter symbolisiert das Gesäß. Der Neuner hat
eine Beziehung zu den neun Monaten der Schwangerschaft und zum neunten Gebot:
»Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib!« Der Zehner ist ein Symbol der
geschlechtlichen Vereinigung und dem Wortklange nach für Zähne, beziehungsweise
für Zehen zu setzen. Der elfte Finger heißt der Penis. Zwölf ist die Zahl der
Intimität (Dutzend = »duzen«). - (
erot
)
Zahlen (6) Nun, ich verstehe
nichts von Zahlen. Aber es ist klar, daß man ihnen keine zu große Bedeutung
einräumen darf; sie sind doch sozusagen nur eine Einrichtung von Staats
wegen, um der Ordnung willen. Niemand hatte doch
je anderswo als auf dem Papier eine gesehen. Es war ausgeschlossen, daß
einem zum Beispiel in einer Gesellschaft eine Sieben oder eine Fünfundzwanzig
begegnete. Da gab es die einfach nicht. - Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids
Brigge. Fankfurt am Main 2000 (it 2691, zuerst 1910)
![]() ![]() ![]() ![]() |
||
![]() |
||
![]() |
![]() |
|
![]() |
||
![]() ![]() ![]() |
||
![]() ![]() |
![]() ![]() |