Plunder  Von moderner Literatur verstand Holmes so gut wie gar nichts. Auch In Philosophie und Politik war er wenig bewandert. Als ich einmal Thomas Carlyle erwähnte, fragte er in aller Naivität, wer das denn sei. Ihren Höhepunkt erreichte meine Überraschung jedoch, als ich zufällig dahinterkam, daß er weder von Kopernikus noch von unserem Sonnensystem etwas wußte. Daß ein einigermaßen gebildeter Mensch des 19. Jahrhunderts von der Bewegung unserer Erde um die Sonne keine Ahnung haben sollte, schien mir unbegreiflich.

»Was verwundert Sie daran?« meinte er lächelnd. »Sehen Sie, jetzt, wo ich das weiß, werde ich mein möglichstes tun, es rasch wieder zu vergessen

»Zu vergessen?«

»Ja. Ich will es Ihnen erklären«, begann er bereitwillig. »Das menschliche Gehirn ist ursprünglich so eine Art leere Dachstube, die sich jeder nach eigenem Willen und Ermessen einrichten kann. Nur ein Narr wird sie mit all dem Plunder, der ihm ins Gehege kommt, vollstopfen und sich damit den Platz für nützliche Dinge rauben — oder das Wichtige so hinter lauter Gerümpel vergraben, daß er es im geeigneten Augenblick nur unter größten Schwierigkeiten hervorholen kann. Ein geschickter Arbeiter jedoch überlegt sich sorgfältig, was er in seiner Gehirnkammer unterbringen mochte. Er beschafft nur Werkzeuge, die ihm bei seiner Arbeit dienlich sind. Hiervon jedoch hält er sich eine reichhaltige und wohlgeordnete Auswahl. Wir dürfen nicht annehmen, dieses Stübchen habe Gummiwände, die sich nach Belieben ausdehnen ließen. Sie können mir glauben, daß, sobald die Kammer einmal voll ist, jede Wissenserweiterung zu einem Gedächtnisverlust an anderer Stelle führt: Wir verlernen etwas, was wir früher einmal gewußt oder gekonnt haben. Daher ist es so wichtig, nicht durch nutzlose Kenntnisse die wertvollen zu verdrängen.«

»Aber das Sonnensystem...«, beharrte ich, von seiner Theorie nicht sonderlich überzeugt.

»Ach, was soll ich damit?« fiel er mir ungeduldig ins Wort.

»Sie sagen, wir drehen uns um die Sonne. Meinetwegen. Und wenn wir um den Mond kreisten: ergäbe sich daraus für meine Arbeit und mich ein Unterschied?«  - Sir Arthur Conan Doyle, Studie in Scharlachrot. Frankfurt - Berlin 1968 (zuerst ca. 1880)

Wertlosigkeit

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