Mensch-Maschine-Interaktion (2) Kontakte zwischen den Menschen sind stets von einei bestimmten emotionalen Aura begleitet, und was sc viele Personen, die mit GOLEM in Berührung gekommen sind, verwirrt, ist nicht so sehr ihr völliges Fehlen als vielmehr ihr »Schwanken«. Menschen, die seit Jahren mit GOLEM Umgang haben, können bereits gewisse, recht eigenartige Eindrücke benennen, die sie bei den Gesprächen gewinnen. Beispielsweise den Eindruck wechselnder Distanz: Mal scheint GOLEM sich dem Gesprächspartner zu nähern, mal scheint er sich von ihm zu entfernen - im psychischen, nicht im physischen Sinne; was da geschieht, gibt vielleicht ein Vergleich wieder, der sich auf die Kontakte zwischen einem Erwachsenen und einem Kind bezieht, das diesen tödlich langweilt: Selbst ein geduldiger Mensch wird dem Kind bisweilen nur auf eine mechanisch-gedankenlose Art antworten. GOLEM ist uns nicht nur durch sein intellektuelles Niveau, sondern auch durch seine Denkgeschwindigkeit gewaltig voraus (im Prinzip könnte er, da er mit Licht arbeitet, Gedanken bis zu vierhunderttau-sendmal schneller artikulieren als der Mensch).
Selbst wenn er mechanisch und mit geringem Engagement antwortet, ist GOLEM uns also immer noch überlegen. Wir haben dann, bildlich gesprochen, statt des Himalayas »nur« die Alpen vor uns. Ganz intuitiv spüren wir diese Änderung jedoch und interpretieren sie eben als »Änderung der Distanz« (diese Hypothese stammt von Professor Riley J. Watson).
Eine Zeitlang haben wir immer wieder das Verhältnis »GOLEM - Menschen« durch
die Beziehung »Erwachsener - Kind« zu deuten versucht. Es kommt ja vor, daß
wir einem Kind ein uns bedrängendes Problem zu erklären versuchen, doch werden
wir dabei das Gefühl nicht los, einen »schlechten Kontakt« zu haben. Ein Mensch,
der unter lauter Kindern leben müßte, würde am Ende eine schmerzliche Einsamkeit
empfinden. Solche Vergleiche wurden vor allem von Psychologen im Hinblick auf
GOLEMs Existenz unter uns geäußert. Diese Analogie hat jedoch, wie wohl jede,
ihre Grenzen. Während das Kind in der Regel für den Erwachsenen unbegreiflich
ist, kennt GOLEM solche Probleme nicht. Er kann, wenn er will, seinen Gesprächspartner
auf eine unheimliche Weise durchdringen. Das Gefühl einer regelrechten »Durchleuchtung
des Geistes«, das man dann empfindet, ist geradezu lähmend. GOLEM vermag nämlich
ein »Schrittmachersystem« herzustellen - ein Modell der geistigen Prozesse seines
menschlichen Partners, und er kann damit vorhersehen, was dieser Mensch einige
Zeit später denken und sagen wird. Allerdings handelt er selten so (ich weiß
nicht, ob nur deshalb, weil er weiß, wie sehr uns diese pseudotelepathischen
Sondierungen frustrieren). Ein anderer Aspekt von GOLEMs Zurückhaltung macht
uns mehr zu schaffen: In der Kommunikation mit Menschen beobachtet er seit langem,
anders als am Anfang, eine bestimmte Vorsicht; wie ein dressierter Elefant darauf
achten muß, daß er dem Menschen beim Spiel keinen Schaden zufügt, so muß er
achtgeben, unser Begriffsvermögen nicht zu überschreiten. Früher, als er sich
noch nicht so genau auf uns eingestellt hatte, war ein Abbrechen des Kontakts,
bedingt durch ein plötzliches Anwachsen des Schwierigkeitsgrades seiner Aussagen,
an der Tagesordnung; wir sprachen dann von einer »Verflüchtigung« oder einer
»Flucht« GOLEMs. Das ist inzwischen Vergangenheit, doch ist in den Kontakten
GOLEMs mit uns eine gewisse Gleichgültigkeit spürbar geworden, die dem Bewußtsein
entspringt, daß er uns viele, für ihn äußerst wichtige Dinge ohnehin nicht vermitteln
kann. - Stanislaw Lem, Also sprach GOLEM. Frankfurt am Main
1986 (zuerst 1973)
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