ut und Trauer  Die Doppelleerformel tauchte wohl zum ersten Mal im Zusammenhang der RAF- Vorgänge und des Tods von Rudi Dutschke auf. Inzwischen tut jeder Schriftsteller von Anspruch und Betroffenheit und unverbruchlicher Linksgesinnung gut daran, »Wut und Trauer« (in dieser Reihenfolge) zumindest einmal in seine Texte sickern zu lassen. Wobei eine Vorform und Variante, nämlich »Traurigkeit und Wut«, schon für mindestens 1962 nachweisbar ist — diese nämlich sprach Christian Geißler bei einer Anti-Atomtod-Rede in Frankfurt aus.

Wie weit es inzwischen mit der linken Wut und Trauer gekommen ist, illustriert der erstaunliche Fakt, daß ausgerechnet der Ex- Verteidigungsminister Apel im Zusammenhang mit der Nachrüstung und den damit verbundenen Problemen beides (in besagter Reihenfolge) empfand und in einem Spiegel-Gespräch auch, ohne rot zu werden, zum Ausdruck brachte. Die durchaus demagogiefähige Ambiguität des Wut & Trauer- respektive Betroffenheitsgelabers beschreibt 1979 in seinem Roman Die Fälschung schon Nicolas Born: »... Dabei erinnerte er sich an den Vortrag eines Schriftstellers in Hamburg, auf dem Höhepunkt der Kampagne gegen den Krieg der Amerikaner in Vietnam. Die Stimme des Schriftstellers war in einigen Sätzen in ein Heulen übergegangen, und besondere Verbitterung kam zum Ausdruck, wenn die Wörter Betroffenheit, Wut und Empörung fielen. Wenn Laschen sich richtig erinnerte, hatte das Wort Betroffenheit bei ihm wirklich eine Betroffenheit ausgelöst, während die Beschreibung der amerikanischen Greueltaten ihn eher verblüfft hatte durch den vorsätzlichen und pathetischen Wortaufwand«.

Dieter E. Zimmer in seinem Aufsatz »Die Expedition zu den wahren Gefühlen« (in: Die Vernunft der Gefühle, 1981) zitiert Jugendliche der Zürcher Protestbewegung: »Ich fühle Trauer, Wut und Ohnmacht in mir« — »Da packt dich eine Wut« — »Heute werfe ich einen Molli, weil ich eine Wut, eine Angst, eine Trauer in mir vorgefunden habe.« Zu befürchten freilich ist auch hier, daß es sich bei derlei weniger um die Rückkehr zu elementaren Gefühlen handelt, sondern vielmehr um Gefühlsadelsausweise, etwa im Sinne des von Adorno/ Horkheimer (Dialektik der Aufklärung) elaborierten »Ticket«-Denkens und -Verhaltens: der blindlingischen Buchung etwelcher insinuierter Werte. Sofern die Zitate überhaupt so gefallen sind (wofür einiges spricht), beleuchten sie mehr oder weniger nur ihre eigene komische Klischeehaftigkeit. Denn siehe: Wenige Jahre später ist mit Wut, Trauer etc. offenbar schon wieder nix mehr. Im selben Buch verweist Zimmer auf eine Definition der Eifersucht als »Trauer plus Wut« durch den US-Psychiater Robert Plutchik. Der Ansatz, ob haltbar oder nicht, hätte immerhin etwas Erhellendes insofern, als Wut und Trauer in der Praxis ja fast immer als etwas äußerst »Gemischtes« auftreten, im Regelfall als Diffuses und Konturloses, das bloß nach großen Vokabeln schnappt, um an ihnen Halt zu finden.

Vereinfacht: Betroffenheit, Wut und Trauer laufen Gefahr, zu reinen Schwall- und Aufgeilvokabeln zu verkommen. Wahrscheinlich haben sie‘s schon geschafft:

Nicht außer sich vor Wut und Trauer; sondern im Gegenteil außer sich vor »Trauer und Wut« war, laut Spiegel, Englands Eiserne Lady Maggy Thatcher nach dem 38-Toten-Spiel Liverpool-Turin.

Andersherum wieder übergoß im Göttinger Raum kurz darauf ein 23jähriger Kfz-Mechaniker seine kleine Tochter mit Benzin aus »Wut und Trauer«, nämlich über Streitigkeiten mit der Freundin.

Dagegen ist Wut solo gut. Vor allem im Feminismus. Denn, so Barbara Schmidt und Susanne Reichel in der taz vom 7. 7. 92: »Wut macht Mut

Da läßt sich die neue Journaille freilich nur noch mit dem alten Balzac theodizös heiligsprechen: »Aber wir treiben doch mit unseren Phrasen Handel und leben von diesem Geschäft.« - (eh)
 
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