underworte Zu den Personen, deren Kommen und Gehen und deren bald würdevollen, bald schmutzigen Reden die Szenenfolge beleben, gehört ein schwachsinniger und halb gelähmter Zwerg, dessen Wortschatz sich auf »Sch...!« beschränkt. In seinem Karren wird er von Jahrmarkt zu Jahrmarkt gezogen und stellt so eine Einnahmequelle dar, um die man sich im Verlauf des Stückes streitet. Daneben treten ein alter, von inzestuösen Begierden geplagter Küster, seine körperbesessene Ehefrau sowie Vagabunden aller Art auf die Bühne {darunter einer, der einen wahrsagenden Hund vorführt, ein weibischer Jüngling und ein falscher Pilger). So werden dem Zuschauer eine Reihe menschlicher Verhaltensweisen vorgeführt, die unablässig von prophetischem Geist inspiriert scheinen, und man könnte annehmen, daß der Autor dies unterstreichen wollte, als er ihr Zusammenspiel Wunderworte nannte.
Wundcrworte - damit sind sicher nicht selten jene der Heiligen Schrift gemeint.
Der Titel bezieht sich aber gleichermaßen auf einen Schwall von Redensarten,
Sprichworten, Kalendersprüchen und Binsenweisheiten, der ganz spontan (oder
vom Schatz volkstümlichen Wissens gespeist) sich wie zwangsläufig aus dem Mund
der unterschiedlichen Personen ergießt, um sowohl den niedrigsten Gefühlen als
auch der höchsten Verzückung Ausdruck zu geben. Dahinter läßt sich weniger eine
satirische Absicht vermuten als der Wille, einige in scharfem Gegensatz zueinander
stehende Aspekte des Lebens in ihrer nackten Wahrheit aufzuzeigen. Als Schauplatz
wurde dafür eines jener ländlichen Gebiete ausgewählt, wo der Lebensstandard
sehr niedrig geblieben ist. Die noch gänzlich von Archaismen getränkte christliche
Religion erscheint dort als seltsame Legierung, in der-unberührt von jeder moralischen
Fragestellung-eine authentisch mystische Kraft mit engstirnigstem Aberglauben
verschmilzt. - Michel Leiris über Ramón del Valle-Inclán:
Wunderworte. In M. L., Leidenschaften. Frankfurt am Main 1992
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