ürde   man muß eben wissen, was echte Leidenschaft und was bloße Marotte ist, wie es die Schrift des Herrn Batista beschreibt, daß eine Frau zweiundzwanzig Kinder hatte und bei einer anderen gab es gar nichts, auch wenn eine Brauereiesse auf sie gefallen wäre, ein Mann muß ein Glied haben, wie es sich gehört, Fräulein, das steht schon im Traumbuch, ein großes Glied im Traume sehen bedeutet Würde - (hra)

Würde (2) Die Zimmerdecke hatte Stuckornamente, und während Eugen zu ihnen emporschaute, erzählte die Dame von jenem Verlagslektor, der Egloff hieß und seinerzeit dafür gesorgt hatte, daß Eugens Bücher gedruckt wurden. Nun sei er wieder verheiratet, übrigens nicht mit Frau Tutsch, sondern mit einer anderen, die fünfzig Jahre jünger als er war. Von der habe er einen Sohn, und diesen Sohn führe er ab und an im Kinderwagen zwischen den Gewächshäusern und Affenkäfigen des Wilhelma-Parks spazieren. Weil Egloff aber Konrad Adenauer gleiche, werde er manchmal gefragt: »Sind Sie's, Herr Bundeskanzler?«

Nun, einer wie Egloff verlor durch einen Kinderwagen nichts an Würde, während Eugen von sich dachte, er brauche keine Würde. Unauffällig durch die Straßen gehen und abends bei der Lampe sitzen, um zu schreiben, darauf kam's ihm an. So still wie möglich sollte es allenthalben sein ... Und er saß abwesenden Gesichts bei der umfangreichen Dame, war froh, daß Hanne mit ihr redete, und entsann sich eines Kollegen, der so umfangreich wie diese Dame war und vor kurzem im Büro zu ihm gesagt hatte: »Hier verbringen Sie also Ihre ruhigen Tage...« Nach einer Weile hatte er hinzugefügt, wenn er Eugen besuche, habe er immer das Gefühl: den störst du jetzt... Eugen hatte geantwortet, das sei unberechtigt... Nun aber hörte er wieder der Dame zu, die sagte, daß sie mit ihrem Herzen schlecht dran sei; Medikamente hülfen wenig, und operieren könne man nicht ... Und wieder kam sie auf Egioffs junge Frau zu sprechen, die dreiundzwanzig sei, wobei Eugen ein Augenblick aus dem Jahre 1946 einfiel, als er Egloff mit dem Dichter Bitter droben in Degerloch im Haus Hohe Eiche besucht und Egioff gesagt hatte, er wünsche sich jetzt eine Achtzehnjährige. Nun war ihm also auch dieser Wunsch (sozusagen) erfüllt worden. Die umfangreiche Dame aber wußte, daß Egioffs junge Frau Sekretärin gewesen war. Und man hatte es kommen sehen, und die Dame in der Herdweg-Villa hatte bereits vor dreiviertel Jahren gewußt, daß das Mädchen schwanger war; denn just bei ihrer Freundin hatte sich das Mädchen eingemietet.

Schicksale also, eingefädelt oder gefördert von den Trieben. Und vielleicht war ein alter Mann, der eine Junge gefunden hatte, zu beneiden.  - Hermann Lenz, Ein Fremdling. Frankfurt am Main 1988 (st 1491, zuerst 1983)

Würde (3) Imponierende Würde seiner äußeren Erscheinung fehlte Claudius keineswegs, ganz gleich, ob er stand oder saß, aber vor allem, wenn er auf dem Ruhebett lag. Denn er war hochgewachsen, ohne mager zu sein, und sein graues Haar und ein fleischiger Nacken machten sein Äußeres angenehm. Beim Gehen schadete es ihm, daß er nicht recht fest auf den Beinen war, und bei heiteren wie ernsten Vorkommnissen verunstaltete ihn verschiedenes Unangenehme, wie unanständiges Lachen, und Häßlichkeit, wenn er zornig war, da ihm dann der Schaum vor den Mund trat und seine Nase zu tropfen pflegte. Dazu stieß er mit der Zunge an und litt an einem dauernden Zittern des Kopfes, das sich bei jeder wichtigen Gelegenheit auf das heftigste steigerte. - (sue)

Würde (4)  Benjamin Péret und ich  vermieden es nach Möglichkeit, von einer Frau anders als im Zustand der Erektion nackt gesehen zu werden; und zwar hing das mit einer bestimmten Auffassung von Würde zusammen.  - André Breton, Die kommunizierenden Röhren. Frankfurt am Main 1988 (zuerst 1932)

Würde (5)   Der Herr trug einen frisch gebügelten Anzug aus chinesischer Rohseide; er stand regungslos da wie ein Soldat, der salutiert, und hielt sein blaurasiertes Kinn hochgereckt. Ungemein viel Würde lag in seinem Stehkragen, in der Bläue seines Kinns, in seiner kleinen Glatze und in seinem Spazierstock. Vor lauter Würde schien sein Hals ganz angespannt zu sein, und sein Kinn zog es mit solcher Gewalt hoch, daß man glauben konnte, sein Kopf werde jeden Augenblick abreißen und nach oben fliegen. Die Dame aber, die nicht mehr jung und sehr voll war, neigte in ihrem weißen Seidenschal den Kopf auf die Seite und blickte so, als wenn sie gerade jemandem eine Gefälligkeit erwiesen hätte und dazu sagen wollte: »Ach, beunruhigen Sie sich nicht erst zu danken. Ich liebe das nicht...«  - Anton Tschechow, Die Steppe. Nach (tsch)

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