Wolkenkratzer In der Wohnküche des 18. Stockwerks saß ein Mann in den Vierzigern und schlürfte seinen Morgenkaffee, während er die Zeitung las und seine Frau das Schlafzimmer lüftete. Auf der Kredenz schlug eine Uhr drei Viertel neun. Ein plötzlicher Schatten glitt am Fenster vorbei.

»Albert«, rief die Frau, »hast du gesehen? Eine Frau ist vorbeigeflogen.«

»Was war es für eine?« fragte er, ohne die Augen von der Zeitung zu heben.

»Eine alte, gebrechliche Frau«, gab die Gefragte zurück. »Sie schien verängstigt.«

»Immer das gleiche«, brummte der Mann, »hier an den niedrigen Stockwerken kommen nur alte vorbei. Die hübschen jungen Mädchen kann man vom fünfhundertsten Stock aufwärts sehen; nicht umsonst sind die Wohnungen dort oben auch so teuer.«

 »Aber wir haben den Vorteil«, bemerkte die Frau, »daß wir den Aufprall hören, wenn sie unten ankommen.«

»Diesmal nicht einmal das«, sagte er kopfschüttelnd, nachdem er ein paar Augenblicke lauschend innegehalten hatte. Dann trank er seinen Kaffee weiter. - Dino Buzzati, Die Maschine des Aldo Christofari. Frankfurt am Main 1985

Wolkenkratzer (2)  Eine sehr kurze Geschichte des Wolkenkratzers:  Es ist jedermann bekannt, daß der Turm von Babel als ein Anschlag auf den Himmel gedacht war. Die für den Bau ver­antwortlichen Beamten waren wenige. Die Arbeitskräfte waren unendlich viele, und damit die Befehle nicht mißverstanden wurden, mußten alle Arbeiter dieselbe Sprache sprechen.

Nach und nach, als eine Mauerschicht auf die andere folgte, geriet die Oberste Behörde in Sorge, daß der Gedanke, einen Krieg gegen den Himmel zu führen, sinnlos sein könnte, schlimmer, daß Gott in seinem Himmel gar nicht existierte. Bei einer Sondersitzung des Zentralkomitees wurde beschlossen, eine Sonde in den Himmel zu schießen. Rakentensalven wurden senkrecht abgefeuert; und als diese blutbefleckt zur Erde zurückkehrten, war der Beweis erbracht worden, daß Gott letztlich sterblich war und daß die Arbeit an dem Turm fortgesetzt werden sollte.

Er für sein Teil nahm es übel, daß man ihn in den Hintern gestochen hatte. Eines Morgens brachte er den Arm eines Maurers auf einer der höchsten Terrassen mit einem verächtlichen Atemzug ins Wanken und bewirkte damit, daß dieser einen Ziegel auf den Kopf eines Maurerkollegen unter sich fallen ließ. Es war ein Unfall. Alle wußten, daß es ein Unfall war, aber der Maurer unten begann Drohungen und Beleidi­gungen auszustoßen. Seine Kameraden versuchten vergeblich, ihn zu beruhigen. Alle ergriffen in diesem Streit Partei, ohne zu wissen, worum es bei dem Streit ging. Alle weigerten sich in ihrem gerechten Zorn, zu hören, was der Nachbar sagte, und benutzten eine Sprache, die Verwirrung stiften sollte. Das Zentralkomitee war hilflos, und die Arbeitstrupps, von denen jetzt jeder eine andere Sprache sprach, suchten Zuflucht vor den anderen in den entlegensten Regionen der Erde.  - Nach Flavius Josephus, in (chatw)

 

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