ohnungsauflösung  In Magdeburg sitzt Sommer 76 in einem hellen Kinderkleid, ein windiger blauer Stoff mit Rüschen, im Liegesessel wie ein Püppchen von sechs Jahren: Trude; sie ist aber gerade 81 und sitzt nicht richtig, weil sie »einen Wolf« im oberen Teil der Kerbe ihres Hintern hat, offene Hautstelle. So stützt sie sich, die 81 Jahre unter oder über ihr, auf die Schultern drückend, in Form von Kraftlosigkeit in den Beinen oder Druck im Kopf, d.h. 81 Jahre hinter sich oder vor sich, insofern als sie sie durch dieses Jahr zu schleppen hatte. Sie beobachtet, nur leicht auf den Sitz gestützt, die Gegenstände in der Wohnung, die sie in 60 Jahren Ehe auswendig gelernt hat, es waren wohl verschiedene Wohnungen, aber im wesentlichen die gleichen Gegenstände. Sie soll Abschied davon nehmen. Die Wohnung wird aufgelöst. Ihre Arme sind ausgemergelt. Sie nimmt schon einige Zeit freiwillig keine Nahrung mehr zu sich, nur Augennahrung. Über die lebendigen Gucklöcher im Greisenhaupt.

»Sie war ein schön, frech, braunes Weib,
wollt keinem Manne trauen.«

Das konstituiert sich im Hirn nach wie vor: mokant, schlagfertig, beobachtend, Witze reißen, unterscheidend, sie ist neugierig.

Hat ja überhaupt nicht gelebt. Und den Besuchern oder der hergereisten Tochter, die ihr zumuten wollen, daß sie noch dieses Jahr über so tut, als ob sie lebt, traut sie schon gar nicht. Darüber will sie aber nichts hören, weil es undankbar wäre gegenüber Walter, der sie »zur Frau genommen hat«. Er hat sich vor einem Jahr von ihr verabschiedet. »Nun verlasse ich dich.« Arn anderen Tag war er tot. - (klu)

 

Wohnung

 

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