ohnen  21. DEZEMBER. Ein Freitag und, nach dem schwedischen kalender, auf Oscar lautend. Ein schöner name, sehr ossianisch, sehr romantisch, an Ossi Wiener erinnernd.

Hier heißen viele so: König Oscar I., König Oscar II., der ort Oscarström in Halland, die Stadt Oscarshamm in Smaland, Oscar Andersson, Oscar Bengtsson, Oscar Carlsson, Oscar Danielsson, Oscar Erixon, Oscar Frantzon, Oscar Gustafsson, Oscar Hansson, Oscar Ingmarsson, Oscar Johansson, Oscar Knutsson, Oscar Lennartzon, Oscar Mansson, Oscar Nilsson, Oscar Oscarsson, Oscar Pahlsson, Oscar Qvarnströmer, Oscar Ragnarsson, Oscar Sunesson, Oscar Truedsson, Oscar Ulfsson, Oscar Valdemarsson, Oscar Willemsson, Oscar [S]ixtensson, Oscar Yngwesson, Oscar Zakrisson.

In dem Ort Tomelilla, das liegt zwischen Malmö und Ystad, soll ein pensionierter Stationsvorsteher namens Oscar Qvorstens-son leben, was ich aber für nicht sehr wahrscheinlich halte, da mein gewährsmann Alexander Himpel ein Spaßvogel ist. Deshalb auch der hiatus Qvarnströmer in meinem obigen gedicht. Die unter mir wohnenden menschen heißen nicht Oscarsson, sondern schlicht und einfach Karlsson mit K. Ich wohne im zweiten stock, die toilette befindet sich im dritten, neben der dachbodentüre, eine läge, die bei damen, welche mich hin und wieder besuchen, Schrecksekunden auslöst. Im dachboden selbst haust, wie es sich für einen anständigen seeport gehört, ein richtiger, wenn auch retirierter Klabautermann. Er ist von geburt Jütländer oder Ostfriese, sein langer bart ist weiß bis käsefarben, der von der dunkelheit langer seereisen katzenhaft gewordene blick durchdringend und scharf, fast möchte man sagen karfunkelnd, sein gang wackelnd, aber fest, seine hand stramm im griff. Er trägt eine verschossene blaue seglermütze und, wenn er sich toilettierenden damen zeigt, seine medaillen aus sieben seeschlachten:

Tsushima, Skagerrak, Emdenunfall, Lord Kitcheners Eismeerunfall, Graf Spees La Plata Unfall, Roosevelts Pearl Harbor Zufall, KaLeu Priens U-boot Ausfall.

Fließendes wasser habe ich in der küche, allerdings nur kalt, um diese zeit [21.Dezember] auch an den fensterscheiben [gefroren] und an der inneren wohnungstüre [nicht gefroren].

Meine gasse heißt Grönegatan, meine hausnummer ist 42, ich wohne auf der stiege C, Stockwerk habe ich bereits erwähnt. Ich habe keine etagennachbarn, aber eine herrenlose katze. Sie heißt Risse, Misse, Missemäns uam. Sonst hat sie keine namen. Jeden morgen miaut sie vor der türe. Da geb ich ihr halt immer eine handvoll schweinegrieben und eine schale milch. Die schale hat ein blaues zwiebelmuster, ihr griff ist abgebrochen. Eine richtige katzenschale. Die herrenlose katze ist scheu, sie pfaucht und weicht zurück. Sie kennt mich nun schon an die fünf monate und dennoch pfaucht sie und weicht zurück, wenn ich mit den grieben und der milch komme. Alexander mag sie lieber, aber der redet auch schwedisch mit ihr. Auch schon was! Soll ich mich etwa wegen einer herrenlosen katze als linguist betätigen? Aber ihre milch und die schweinegrieben kriegt sie.

Meine wohnung liegt zwischen zwei höfen. Geht man durch den zweiten hof, so kommt man in die Jerusalemsgatan, eine sehr fromme gasse, ganz abgesehen vom namen. Unser nebenhaus no 13 ist die Anna Margaretha Stifung, no 19 die Baptistenkirche Ebenezer, beide wunderschöne ziegelbauten, Anna Margaretha weißgetüncht, Ebenezer naturbelassen und mit einem ordentlichen vorgärtchen hinter einem gußeisernen zaun. In dem vorgärtchen wächst allerlei grün, petersilie ausgenommen. Jersulamsgatan 11 ist jedoch der eingang zum hof, dem meine vier zimmerfenster zugewendet sind. Alles edler backstein. Aus drei großen dachluken ragen drei feste aufzugsgalgen mit phallischer gewalt. Weiß der teufel, was sie daran früher hochgewunden haben. Gebrauchte petroleumöfen, inrusobetten, heu, waschtischchen mit marmorbelag etwa?

Im sommer war es in unsrem zweiten hofe immer lustig. In seiner mitte befindet sich eine teppichklopfstange samt einer festgefügten plattform zum teppichhinlegen. Darauf saßen tag und nacht die saufbrüder der umgebung. Hier heißen solche leute alkisar. Alkisar sind leute, die lieber was trinken als nichts. Alle Schweden vom alten schlag trinken lieber was als nichts. Reifere herren mit feinen polarsternen, die sie auf die handrücken tätowiert haben, nautisches volk, leute mit viel zeit, leser der ›Arbeit‹, immer wankend, nimmer fallend. Lars, John, Olav, Algot mit der doppelglatze, der blatternarbige Ludwig, Einar mit der ewig eingebundenen hand, der feine Erik mit dem mittelscheitel à la Valentine, alles grundgewitzte branntweinliebhaber. Unsre deutschen Doornkattisten würden ob dieser quantitäten und stärkegrade augen machen. Der gewöhnliche Cottbuser beim Pohlmann in der Droysenstraße ist dagegen das reinste aperitifchen. Am ausgang zur Gronegatan wohnt der vizehauswirt, ein noch junger mensch, ungekämmt und mit etwas verwirrten bewegungen. Einmal aber war er gekämmt, das war am Tag der schwedischen Fahne. Auch ein junger hausbesorger darf ein patriot sein, das steht ihm zu, Schweden ist ein demokratisches Land.

Kommt man in die Grönegatan, muß man über ein pflaster mausgroßer kopfsteine. Es sind tatsächlich fossilierte mausrücken, grau, wie es sich gehört, mit feinen branntweinflaschen-scherblein bedeckt, leicht grasbärtig, ebenfalls grau. An einer werkstattmauer, hellroter backstein, ist mit weißer kreide ein ebenmäßiges fußballtor gezeichnet. Davor kicken an hellen, freundlichen sommertagen unsre hofleute zur entspannung das leder. Wir gehören allesamt zur pfarre St. Petri ... - (hca)

Wohnen (2)  gestern war olga angekommen, weintraub hatte sie in seinem wagen mitgenommen, nachdem sie das eingefallene dach und die sprünge in den mauern bewundert hatte, beschloss sie, ihren lebensabend hier zu verbringen, weintraub war sehr zufrieden, als sie sah, dass er hier auf einem haufen alter lumpen am steinboden schläft, war sie ihm verfallen, dobyhal trat erschöpft aus der scheune, er hatte einen lehnstuhl in den kamin eingemauert. - Konrad Bayer, der sechste sinn. Roman. Reinbek bei Hamburg 1969

Wohnen (3)  Wie jede stichhaltige und erprobte Erfahrung ihr Gegenteil mit umfaßt, so auch die vollendete Kunst des Flaneurs das Wissen vom Wohnen. Urbild des Wohnens aber ist die matrix oder das Gehäuse. Das also, von dem man genau die Figur dessen abliest, der es bewohnt. Will man sich nun erinnern, daß nicht nur Menschen und Tiere, sondern auch Geister, und vor allem die Bilder wohnen, so liegt greifbar vor Augen, was den Flaneur beschäftigt und was er sucht. Nämlich die Bilder, wo immer sie hausen. Der Flaneur ist der Priester des genius loci. Dieser unscheinbare Passant mit der Priesterwürde und dem Spürsinn eines Detektivs - es ist um seine leise Allwissenheit etwas wie um Chestertons Pater Brown, diesen Meister der Kriminalistik. - Rezension (hes), in: Walter Benjamin, Beroliniana. München und Berlin 2001

Wohnen (4)

- N. N.

Wohnhaus Sesshaftigkeit
Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe
Verwandte Begriffe
Nomade
Synonyme