oge  Mächtige Mengen von Wasser brachen nun herein. Er fühlte sich durch eine Woge

Hokusai (ca. 1830)

angehoben, in der er den Grund verlor. Sie warf ihn rücklings, er mußte sich ihrem Andrang hingeben. Der Wirbel betäubte ihn für die Dauer eines Wellenschlages, dann trug ihn das neue, leichtere Element.

Köstliches Wasser flutete unübersehbar an. Noch war es silbern, von Legionen winziger Perlen schäumend, dann breitete es sich weithin aus wie Rauch in stiller Luft. Ein Flügelschlag, ein Glockenläuten hätten es gestört.

Das Auge reichte in große Tiefen, wenngleich nicht auf den Grund. Ein stählerner Anker schwebte in langsamer Fahrt vorbei. Ein Tier, für das der Abscheu vergeblich nach Namen suchte, war daran festgemacht. Ihm folgte ein Blauhai mit schiefriger Haut. Das Bildnis war erschreckend, vom reinen Willen zugeschnitten, der nackten, gespannten Gier. Rachen und Schnauze waren gewaltig, die Augen winzig, die Zähne vielfache Ränge von Pfeilspitzen. Die Fahrt war mächtig, lautlos, fast ohne Flossenschlag. Trotz aller Schrecknisse erfaßte das Auge Urformen der Eleganz und frühes Fürstentum.

Nun warf das Untier sich auf die Seite und entblößte das blitzende Gebiß. Durch diese Wendung wurden die Piloten sichtbar, die sich unter den Flossen verborgen hatten: zwei Prachtmakrelen von silbergrauer Schuppung, fünffach gebändert vom weichsten, dunkelsten Azur. Sie wirkten als ein farbiger Auswurf der Macht, als feineres, aber abgeleitetes Prinzip. Der parasitäre Glanz der großen Tafeln wurde deutlich, wo es an Abfällen nicht fehlt. Er lenkte Moltners Blicke vom Urbild ab.

Wie ein Kristall, einmal gelungen, als Muster weite Oberflächen überzieht, so tauchten nun Myriaden von Fischen auf. Als Einzelgänger, zu Paaren, in großen und kleinen Schwärmen, in endlosen Prozessionen erfüllten sie die Flut. Obwohl die Rückenfiossen den Meeresspiegel schnitten, verharrte er in unberührter Glätte, als durchdrängen sich Gebilde aus gewebtem Licht.

Bestürzend blieb, daß die Darbietung von einem Punkt aus ansetzte und dann gleich unermeßlich war. Das Füllhorn war ausgestürzt. Die Lichter, Farben, Formen entstiegen Explosionen, die sich lustvoll verzögerten.

Moltner empfand im Schauen Macht; er war der Festherr, dem der Aufzug galt. Er stand leicht vorgebeugt am Klippenrande, die Arme ausgestreckt. Die Kühlung stieg herauf. Ganz nahe flutete es an ihm vorüber im Lebensschimmer, der ihn bald lächeln und bald erstarren ließ, wie Kinder Spielzeug sehen. Unüberschaubar glitt der Maskenzug vorüber, mit Larven, Laternen und Mummenschanz. Er wurde von großen Paraden unterbrochen; beim Klange wechselnder Kapellen folgten die Geschwader einander im Schöpfungskleide, in prächtiger Montur.

Den Zug eröffneten die abenteuerlichen Formen, die aus den submarinen Grotten und Korallengärten aufgestiegen waren, die Seepferde und Meereswunder der Sargassowälder, die Ausgeburten der Abgründe. Dem folgte ein in bunten Farben prunkendes Aufgebot, geführt durch den Rotfeuerfisch, der wie ein Vogel mit starren Floßfedern auf schwebte. Der Aufzug sollte das Geheimnis der feuchten Palette offenbaren, den Grund, aus dem sie unendlicher Durchdringung und Kontrapunktik fähig ist. Der Blick fiel in den innersten Tresor. Die blitzenden Juwelenschwärme der heißen Golfe und Tropenriffe beschloß ein riesiger Solitär der Islandmeere: der Gotteslachs, ein stahlblauer Mond, den sieben korallenrote Flossen trieben und steuerten.

Das alles in seiner Pracht erschien nur als das auf Vorhänge gemalte Muster, wie nun einfarbige Wesen auftauchten, in denen Schmelz und Rhythmus sich vereinigten. Die Flossen waren gekrümmte Schwerter, Tänzerinnenschleppen, Strahlen von Feuern jenseits der bekannten Welt. Ein Wunder zog vorüber, indem es lässig einen zarten Schleier reifte und breitete. Die Säume wurden purpurn in der Spannung und blaßten in der Entfaltung ab. Das war der Wechsel der Bewegung in reine Lust — elektrisches Liebesspiel. Man ahnte die Möglichkeit zu atmen, zu träumen, ja selbst zu denken wie dieser Fisch. - Aus: Ernst Jünger, Besuch auf Godenholm (1951)

Woge (2)

"Ozean"

- Paul Rumsey

Woge (3)  ÜBER DIE Wogen der graugrünen Ostsee kam die starke Flotte der Schweden windgetrieben her, Koggen Gallionen Korvetten. Bei Kalmar unter Öland, bei Västervik, Norrköping, Söderköping hatten sie die gezimmerten Brüste und Bäuche auf das kühle Wasser gelegt, schwammen daher. Die bunten langen Wimpel sirrten an den Seilen und Gestängen. Voran das Admiralsschiff Merkur mit zweiunddreißig Kanonen, dann Västervik mit sechsundzwanzig, Pelikan und Apollo mit zwanzig, Andromeda mit achtzehn; dreizehn auf Regenbogen, zwölf auf Storch und Delphin, zehn auf Papagei, acht auf dem Schwarzen Hund.

Der Wind arbeitete an der Takelung, die Segel drückte er ein, die breiträumigen Schiffe bogen aus, stießen vor, glitten wie Wasser über Wasser. Dann griff der wehende Drang oben an, sie beugten sich vor, schnitten, rissen schrägwirre sprühende Schaumbahnen in die glatte fließende Fläche, stellten sich tänzelnd wieder auf. Die Tausende Mann, die Tausende Pferde auf den Planken. Das Meer lag versunken unter ihnen. Die Schiffe rannten herüber aus Elfsnabben, dem weiten Sammelplatz, nach einem anderen Land. Da stand die flache deutsche Küste. Wie Urtiere rollten torkelten watschelten die brusthebenden geschwollenen Segler, tauchten, hoben sich rahenschlagend aus dem herabrieselnden Wasser. Als die flachen Boote, die Kutter Briggen Schoner vom Ufer anschwirrten, erschien der weiße Strand. Triumphierend leuchteten die nassen bemalten Gallionen und Koggen. Auf den stillen verlassenen Strand stiegen Menschen nach Menschen, fremdländische Rufe. Drohend schlugen von den Schiffskastellen Kanonensalven über das Land. - Alfred Döblin, Wallenstein. München 1983 (zuerst 1920)

Woge (4)

- Walter Crane, Neptuns Pferde

Woge (5)   Ich war wie gelähmt, als die Welle, die den Kutter verschlang, sich erhob. Sie kam mit tausend Armen auf uns zu. Die Gischt war weiß, und bestimmt waren es viele Tonnen Luft, die sie mit ungeheurem Donner zusammenstürzend unter sich begrub.

Sie lief mit einem furchtbaren Brüllen auf den Strand, zerschlug nördlich, wo sie zuerst aufgetroffen war, erst den Steg und dann das Café, wusch mit einem einzigen gierigen Zugriff aus der Klippe riesige Mengen Sand und flog dann, während ich dies gleichsam aus den Augenwinkeln sah, krachend auf uns zu. Wasser ist salzig und kühl und schwer wie Metall, wenn es auf den Leib schlägt.

Diese Flut aber, die mich anfangs etwas erschüttert hatte, lief dicht und zäh über mich weg und drang in meine Poren ein und griff nach mir, verstopfte mir Augen, Nase, Mund, war wie Gelee in meinen Ohren und spülte mich in einem roten Licht auf den Sand, wo ich völlig die Besinnung verlor.

Ich kann nicht sagen: als ich wieder zu mir kam. Vielmehr lag ein Schatten über der Welt. Ich war ein Kind, das man in einen Nährtank eingesperrt hat. Ich hatte ein rosa Schleifchen im Haar, einer meiner Daumen steckte in meinem Mund. Ich drehte mich in einer hellen Flüssigkeit, die aus einem pumpenden Maul fortwährend aus einer der Wände drang.  - Gerd Maximoviç, Das gestrandete Schiff. In: Phantastische Aussichten. Hg. Franz Rottensteiner. Frankfurt am Main 1985  (Phantastische Bibliothek 160)

Woge (6)  Als er vor ihrer Haustür stand, rief er sie über die Sprechanlage. Zwei Minuten später rauschte sie auf ihn zu und brach über ihn herein wie eine Woge von Rosenwasser und heißem Fleisch. Das war eine Umarmung wie auf der Bahnstation, die Umarmung der Ehefrau eines Heimkehrers, und Carvalho ließ sich umarmen und küssen und tätschelte gleichzeitig ihren Rücken, nicht wissend, wohin mit Händen und Gewissensbissen. Nachher würde Charo die Sache vereinfachen, denn sie war fröhlich und redselig, und Carvalho wollte das volle Festprogramm, Kino und Vallvidrera, falls sie an diesem Abend keine Kunden mehr haben würde.

«Kunden? Du weißt nicht, was du da gesagt hast. Ich bin schlimmer in der Krise als die Stahlindustrie im Norden, bei den Armen, mit denen sie so schlimm umgesprungen sind. Bei mir ist es anders, Pepe, diese Aids-Geschichte hat unheimlich viel kaputtgemacht, und ich habe zwar noch ein paar feste Kunden fürs ganze Leben, damit komm ich aber nicht über die Runden, ich komme einfach nicht über die Runden, und ich sag das nicht, weil ich klagen will, sondern weil ich eine Entscheidung treffen muß. Ich wollte mit dir darüber reden.»  - Manuel Vázquez Montalbán, Schuß aus dem Hinterhalt. Reinbek bei Hamburg 1990

Woge (7)   Wieder traf eine ungeheuerliche Wassermasse das Atoll. Das bis zu den beiden Männern vordringende Wasser quirlte drei Zoll tief unter ihren Stühlen. Die Frauen stießen leise Schreckensrufe aus, und die Kinder weinten beim Anblick der Wassermassen entsetzt auf. Hühner und Katzen, die verstört aus den zurückflutenden Wassern hervorkamen, suchten — in gemeinsamem Instinkt — fliegend, kletternd und springend Zuflucht auf dem Dach des Hauses. Ein Paumotaner erklomm eine Kokospalme und befestigte einen Korb mit quietschenden Welpen zwanzig Fuß über der Erde. Unten kämpfte die Mutter heulend und jaulend gegen die Wasser an.

Und immer noch brannte die Sonne am Himmel, und immer noch hielt die totale Windstille an. Kapitän Lynch konnte den Anblick der haushohen Wellenberge nicht mehr ertragen und bedeckte die Augen mit den Händen. Wie eine Nußschale wurde weiter draußen die Aorai herumgeworfen. Kapitän Lynch erhob sich mühsam und ging ins Haus. «Achtundzwanzig-sechzig», sagte er zu Raoul, als er zurückkam vom Barometer.

Er brachte eine Rolle Manilahanfseil mit, das er in Stücke von zwei Faden Länge zerschnitt. Er gab ein Stück Raoul, behielt eines für sich selbst, und verteilte die anderen an die Frauen mit dem Rat, auf die Bäume hinaufzuklettern.  - Jack London, Das Haus Mapuhis. In: J. L., Die konzentrischen Tode. Stuttgart 1983  (Die Bibliothek von Babel, Bd. 14, Hg. Jorge Luis Borges)

Woge (8)  

- Gustave Courbet

Woge (9)  

Meer

 

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