itwenmaler   Basil Feuz versuchte, sich aus dem Sofa zu erheben und fiel auf die Knie.

»Wo bin ich?«, fragte er mühsam.

»Bei mir«, antwortete der Kommissär.

»Ich habe Witwen gemalt. Ein Riesenbild mit Hunderten von Witwen«, verkündete Basil Feuz. »Mein Hauptwerk. Witwen regieren die Welt. Reiche Witwen, fröhliche Witwen, gierige Witwen, schwangere Witwen.«

Dann stutzte er. »Warum bin ich hier?«

»Keine Ahnung«, sagte der Kommissär.

»Seit wann?«, wollte Feuz wissen.

»Auch keine Ahnung«, sagte der Kommissär.

»Du hättest nie Kriminalist werden sollen«, meinte Feuz.

»Das sehe ich ein«, gab der Kommissär zu.

»Wahrscheinlich habe ich mein Witwenbild gefeiert«, überlegte Basil Feuz.

»Wahrscheinlich«, nickte der Kommissär.

»Wir haben uns kennengelernt, als ich eines Nachts um drei den Kindlifresserbrunnen bestiegen und die Statue angepinkelt habe«, erinnerte sich Basil Feuz.

Der Kommissär nickte: »Ich weiß.«

Der Kommissär habe ihn nicht angezeigt, sagte Basil Feuz dankbar.

Es sei auch nicht seine Aufgabe gewesen, meinte der Kommissär, er sei nicht von der Stadtpolizei.

»Es war mein Recht, die Statue anzupinkeln«, erklärte Basil Feuz. »Es war nicht nur mein Recht, es war auch meine Pflicht. Ich bin gegen die Kinderfresserei.«

Der Kindlifresserbrunnen sei ein antisemitisches Denkmal, sagte der Kommissär.

»Wer weiß das schon noch«, begehrte Basil Feuz auf. »Egal, was es einmal gewesen ist, es regt die Menschen zum Kinderfressen an, und dabei steht die Statue heute unter Denkmalschutz.«

Er schlief wieder ein, diesmal auf dem Spannteppich. Das Telefon läutete zum zweiten Mal. Noch einmal Wanzenried. »Würden Sie bitte sofort auf mein Büro kommen«, sagte er höflicher.

»Ich bin pensioniert«, wiederholte der Kommissär und hängte wieder auf. Der Kunstmaler erwachte aufs neue.

»Mein Verhältnis zu einer Dreizehnjährigen hast du auch nicht angezeigt«, sagte er.

»Nicht nur deinetwegen«, antwortete der Kommissär ruhig.

»Die Göre hatte mich verführt.«

»Ich weiß.«

»Sie hat noch andere verführt.«

»Ich weiß.«

»Die halbe Stadt.«

»Etwas übertrieben«, sagte der Kommissär.

Feuz schnarchte wieder. Diesmal im Fauteuil bei der Zentralheizung. - Friedrich Dürrenmatt (und Urs Widmer), Der Pensionierte. Zürich 1997