Witwe, zweifache  Nun schläft Mrs. Ogmore-Pritchard in ihrem eisbergweißen heilig gewaschenen Krlnolinennachthemd unter tugendhaft arktischen Bettüchern im geputzten und geleckten stäubchenlosen Schlafgemach in ihrem blitzblanken Haus Seeblick, Pension für zahlende Gäste am oberen Ende der Stadt. Mrs. Ogmore-Pritchard, zweimal verwitwet, nach Mr. Ogmore, Linoleum im Ruhestand, und nach Mr. Pritchard, verkrachtem Toto-Buchmacher, der zum Wahnsinn getrieben durch Fegen, Scheuern ynd Schrubben, durch die Stimme des Staubsaugers und den Duft der Bodenwichse, ironischerweise ein Desinfektionsmittel trank. Mrs. Ogmore-Pritchard also zappelt in ihrem keimfreien Schlaf, wacht im Traum auf, und stößt beide in die Rippen, den toten Mr. Ogmore, den toten Mr. Pritchard, gespenstig zu ihrer Rechten und Linken.

MRS. OGMORE-PRITCHARD Mr. Ogmore!  Mr. Pritchard! Es ist Zeit, daß ihr euren Balsam inhaliert I

MR. OGMORE Ach, Mrs. Ogmore!

MR. PRITCHARD Ach, Mrs. Pritchard!

MRS. OGMORE-PRITCHARD Bald wird es Zeit sein, daß ihr aufsteht. Zählt eure Aufgaben auf, der Reihe nach!

MR. OGMORE Ich muß meine Pyjamas ins Schubfach legen, auf dem steht Pyjamas.

MR. PRITCHARD Ich muß mein kaltes Bad nehmen, das für mich gut ist.

MR. OGMORE  Ich muß mein Katzenfell tragen, gegen Ischias,

MR. PRITCHARD  Ich muß mich hinter dem Vorhang anziehen und meine Schürze umbinden.

MR. OGMORE  Ich muß mir die Nase schnauben.

MRS. OGMORE-PRITCHARD Im Garten gefälligst!

MR. OGMORE In ein Stück Seidenpapier, das ich nachher verbrenne.

MR. PRITCHARD Ich muß mein Salz einnehmen, das kommt der Natur zu Hilfe.

MR. OGMORE Ich muß das Trinkwasser abkochen, wegen der Bazillen.

MR. PRITCHARD  Ich muß meinen Kräutertee kochen, der frei von Tannin ist.

MR. OGMORE  Und ich muß ein Tierkohlekeks essen, das für mich gut ist.

MR. PRITCHARD  Ich darf eine Pfeife Asthmamischung rauchen.

MRS. OGMORE-PRITCHARD  Im Schuppen, gefälligst!

MR. PRITCHARD  Und die gute Stube abstauben und den Kanarienvogel mit Insektenpulver einstäuben.

MR. OGMORE Ich muß Gummihandschuhe anziehn und den Pekinesen nach Flöhen untersuchen.

MR. PRITCHARD  Ich muß die Jalousien abstauben und dann muß ich sie hochziehen.

MRS. OGMORE-PRITCHARD  Und bevor du die Sonne einläßt, sieh zu, daß sie sich die Schuhe abputzt!   - Dylan Thomas, Unter dem Milchwald. Ein Spiel für Stimmen. Nachdichtung von Erich Fried. Heidelberg 1954

Witwe, zweifache (2)   Die spätere Vertraulichkeit wird mich nicht dazu verleiten die abstandhaltende, vorsichtige Ehrfurcht zu deformieren, auf die für gewöhnlich eine Dame zurecht Anspruch erheben kann, vor allem sofern sie auch noch Opfer eines privilegierten Unglük-kes ist. Eine Hochachtung, so füge ich hinzu, die durchaus übereinstimmt mit meiner moralischen und geistigen Berufung, meiner eilfertigen, leicht unterwürfigen Hinnähme der Ereignisse. Die Frau A. war eine nicht schöne Frau, von derben, manchmal glückhaft ordinären Gesten; klug gekleidet mit ihrem ein wenig schweren Körper, mehr aus Selbstgefälligkeit als aus leichtfertiger Hingabe. Mit ihrer biegsamen Leidenschaftlichkeit, ihrer dramatischen Schlauheit, gemessenen Rührseligkeit, ihrem unvollkommen geregelten Instinkt: mit all diesem zeichnete sie eine Persönlichkeit, die plastisch, beweglich, körperhaft war, aus einer Materie, welche Zeit, Erfahrungen und die Ungenauigkeiten der Existenz zutiefst durchgewalkt hatten.

Ich überdachte sie erneut als »gebrochen«, bearbeitet von einer schwierigen, höchst anstrengenden Unternehmung. Ich erinnerte mich, daß sie zweimalige Witwe sei, und es wurde mir klar, wie sehr ihr dieser Zustand auf den Leib geschrieben war; als ob sie solcher Erinnerungen bedürfe, die zugleich häuslich-wollüstig und unwiderbringlich verbraucht sind. Und ich überlegte, wie sich doch in ihr bildlich verkörpere, was man mit den Worten »sie hat zwei Gatten zu Grab getragen« ausdrückt; da doch dieser erdhafte Vorgang, dieses Verbergen, das geduldige wohlberechnete unvollständige Ausstreichen der Zeichen vorheriger Lebensläufe, ihr eine tiefe und verknäuelte Anmut verliehen, ein wissendes Ansehen, das Prestige eines fleischlichen Palimpzestes.  - Giorgio Manganelli, Omegabet. Frankfurt am Main 1988 (zuerst 1969)

Witwe

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