Wirtshausschlägerei    Das Glas auf den Tischen ist ohne Zweifel eine Erfindung der Wissenschaft. Die Fäuste sind den Streitenden mitgegeben. Die Worte vor dem Fauststreit, die hin und her fliegenden Worte, sind eine Erfindung der Kunst.

Es gibt Verhaltens regeln in einer Gaststätte, deren Betrieb durch die Menge des zerbrechlichen Glases empfindlich ist. Diese Regeln des Verhaltens werden gebrochen, wenn aus dem Streit der Worte und Gesten ein Fauststreit wird. Die Gewalt, die nun angewendet werden soll, ist in dem einfachen natürlichen Streit das Mittel, dem ändern, dem Feind, den Willen aufzuzwingen; um diesen Z weck

sicher zu erreichen, muß der Feind außer Wehr gesetzt werden: dies, so heißt es, ist das eigentliche Ziel der kriegerischen Handlung. Dadurch, daß im Streit zwischen den Gegnern die Regeln gebrochen werden, entsteht zunächst, was regellos ist, in diesem Fall die Ortsveränderung eines Stuhls, welchen, indem er auf stand, einer der Streiter jäh hinter sich an die Wand gestellt hat; denn ein Stuhl steht in der Regel am Tisch.

Neue Regeln entstehen hinwieder nur aus gebrochenen alten. Ein Kampf entsteht durch den Bruch einer Regel unter Entstehung einer neuen. Ohne Regel wäre kein Kampf ein Vergnügen. Jede Regel eines Spiels entsteht durch den Bruch einer ändern. Ein Kampf außer der Art wird, indem er ausartet, zu einem Falschspiel, das durch seine Regellosigkeit keinem der Beteiligten Spaß macht.

Bei einem ehrlichen Kampf zwischen den zweien, die zum Streiten gehören, gilt für die, welche schauen, die Norm, die Kämpfenden, außer durch Rufe, nicht zu verstören.

Um die Streiter ringt sich ein Kreis. Wer hinzukommt, muß sich an den Kreis halten, ohne daß es in seiner Macht steht, hindurchzukommen. Wer es aber auf sich nimmt, den Kreis zu betreten, in welchem einer den anderen mit seinen Blicken mißt, wird an den Kleidern zurückgezerrt; es obliegt den beiden, zu tun, was sie wollen. Die Fragen werden aufgespart. Die sich schon auf den Weg gemacht haben, kehren um. Die Kleineren stehen vorn, die Größeren dahinter. Dem zu spät Kommenden ist der Einlaß versperrt. Er erregt Abscheu und Widerwillen, wenn er mit den Schultern vorandrängt; wenn nun noch weitere kommen, kann er nicht vor noch zurück. Bevor der Wortstreit zu einem Fauststreit wird, tritt eine Stille ein. Die Inhaberin der Stätte, die Arme auf die Theke um das Gesicht gestützt, schaut dem Vorgehen zu. Als in den hinteren Reihen ein Gemurmel entsteht, gebietet sie, indem sie die Brauen hebt, Ruhe.

Es ist nun daran, daß die Streiter, bevor sie handgreiflich werden, auf leisen Sohlen einander umkreisen. Der eine Streitende ist kräftig gebaut; er ist auch größer als der zweite und trägt machtvoll die schweren Knochen und Sehnen zur Schau. Seine Hände werden als Schaufeln bezeichnet. Die Knie sind fest, die Muskeln der Waden unter der Hose sind hart. Er scheint zudem die größere Reichweite zu haben. Die Knöchel der Fäuste werden allseits gefürchtet; der Arm des Mannes, der sich um einen fremden Kopf schließt, ist ortsbekannt. Jedoch wird er auch etwas vertragen und einstecken können? Manches schwebt den zweifelnden Zuschauern vor, was ihnen nicht eingeht. Durch ein langes Nichtstun, anders der andre, ist der Bauch des Mannes schlaff geworden, der Rumpf ist eingeschrumpft, an den Schenkeln und an der Brust hat er sichtbares Fett angelagert; es entgeht wenigen, daß er zudem, durch die Getränke, keinen guten Tag heute hat. Wird er sich schnell genug bewegen können? Seine Beinarbeit ist freilich noch immer beachtlich. Wenn aber der andre seine Schwächen ausnützt, hat er gewiß eine Aussicht, wiewohl er eher schmächtig erscheint, mit schlenkernden Armen und einem öden und leeren Gesicht; durch die Schnelligkeit seines Auges mag er die längere Erfahrung des ersten wohl wettmachen. Die meisten setzen daher auf den Kleinen und spornen ihn mit Schreien zum Angriff an, während sie den Größeren lauthals schmähen und ihm nachreden, daß er feig sei.

Indes endet der Kampf, bevor er beginnt. Weil aber nichts, bevor es begonnen hat, enden kann, so muß der Kampf vor diesem Beginn, der nicht eintritt, einen anderen haben: einen Beginn der Vorbereitung zum Kampf, der sich im Auf-stehn von den Stühlen geäußert, vor dem Beginn des wirklichen Kampfes, in dem die Gegner handgemein werden. Dieser Kampf wird beendet, bevor die Gegner handgemein werden.   - Peter Handke, Die Hornissen. Frankfurt am Main 1977

Wirtshausschlägerei (2) Einer von den vier Dienern des Don Luis sagte: „Wenr dies nicht etwa eine verabredete Fopperei ist, kann ich unmöglich verstehen, daß Leute von gesundem Verstand, wie alle hier Anwesenden sind oder scheinen, sich erlauben können zu sagen, dies sei keine Bartschüssel und jenes kein Eselssattel; aber da sie es sagen und behaupten, so muß ich annehmen, es steckt ein absonderlich Geheimnis dahinter, so hartnäckig bei einer Behauptung zu bleiben, wovon uns das Gegenteil durch die Wirklichkeit und durch die Erfahrung selbst dargetan wird. Denn ich schwor's bei dem und jenem" - und er stieß den Schwur rundheraus -» „mich soll nichts auf der Welt überreden, daß dies sich umgekehrt verhalte und daß dies nicht eine Barbierschüssel und jenes nicht der Sattel eines Esels sei."

„Es könnte der Sattel einer Eselin sein", sagte der Pfarrer.

„Das ist ganz einerlei", entgegnete der Diener, „denn es handelt sich nicht hierum, sondern darum, ob es ein Eselssattel ist oder nicht, wie die gnädigen Herren sagen."

Dies vernahm einer der eben angekommenen Landreiter, der dem Streit und der ganzen Verhandlung zugehört hatte, und sprach voller Zorn und Ärger: „Das ist ebenso sicher ein Eselssattel, wie mein Vater einer ist, und wer was anderes gesagt hat oder sagt, muß toll und voll sein!"

„Ihr lüget als ein niederträchtiger Schelm!" rief Don Quijote, erhob seinen Spieß, den er nie aus den Händen ließ, und holte in einem so gewaltigen Schlag auf den Kopf des Landreiters aus, daß er ihn, wenn er nicht ausgewichen wäre, ohne weiteres niedergestreckt hätte.. Der Spieß zersprang auf dem Boden in Stücke, und als die anderen Landreiter ihren Kameraden mißhandelt sahen, erhoben sie die Stimme und riefen nach Beistand für die Heilige Brüderschaft. Der Wirt, welcher auch zur Genossenschaft der Landreiter gehörte, lief eilig hinein nach seinem Amtsstab und seinem Schwert und stellte sich dann seinen Kameraden zur Seite. Die Diener des Don Luis umringten diesen, damit er ihnen in dem Getümmel nicht entkomme. Als der Barbier das ganze Haus in Aufruhr sah, griff er wieder nach seinem Sattel, und das nämliche tat Sancho. Don Quijote zog sein Sdiwert und griff die Landreiter an. Don Luis schrie seinen Dienern zu, sie sollten ihn lassen und Don Quijote zu Hilfe eilen, ebenso dem Cardenio und Don Fernando, die beide sich Don Quijotes annahmen. Der Pfarrer schrie laut auf; die Wirtin kreischte, ihre Tochter jammerte, Maritornes weinte; Dorotea stand in Bestürzung, Luscinda war erschrocken, Dona Clara ohnmächtig. Der Barbier prügelte Sancho, Sancho zerdrosch den Barbier; Don Luis, den einer seiner Diener am Arm zu fassen gewagt, damit er nicht entfliehe, gab ihm einen Faustschlag, daß ihm Mund und Zähne in Blut schwammen; der Oberrichter nahm sich des Jünglings an; Don Fernando hatte einen Landreiter unter sich gebracht und nahm ihm mit den Füßen das Maß seines ganzen Körpers nach Herzenslust; der Wirt schrie wiederum und mit stärkerer Stimme als zuvor: „Zu Hilfe der Heiligen Brüderschaft!" So war die ganze Schenke voll Klagen und Schreien und Kreischen, Wirrsal, Ängsten, Schrecken, Unheil, Schwerthieben, Maulschellen, Prügel, Fußtritten und Blutvergießen.

Und in diesem Chaos, in diesem ganzen Gewirre und Labyrinth der verschiedensten Dinge tauchte plötzlich in Don Quijotes Geiste die Vorstellung auf, er habe sich gewaltsam mitten in die Zwietracht von Agramants Lager eingedrängt, und so rief er mit einer Stimme, welche die ganze Schenke durchdröhnte: »Haltet alle ein, steckt alle die Schwerter ein, kommt alle zur Ruh, hört mich alle an, wenn ihr am Leben bleiben wollt!"

Beim Ton dieser mächtigen Stimme hielten alle inne, und er fuhr fort: „Habe ich euch nicht gesagt, ihr Herren, daß diese Burg verzaubert ist und daß eine Landsmannschaft von Teufeln ln ihr hausen muß?"  - (don)

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