innetou  Ich liege also vor dem Einschlafen ausgestreckt auf dem Rücken, mein Nachthemd bis zum Hals aufgerollt, das Bett steht im Lichtschatten, Mutti liest unter der kleinen roten Leselampe, die sie an der oberen rechten Buchkante festklemmt. Sie kann mich nicht sehen, die anderen Betten stehen dazwischen. Meines ist ein schon weißgestrichenes Gitterbett, so lang, wie die beiden aneinandergestellten Betten meiner Schwestern breit sind, mit dicken kleinen Engelein bemalt, die sich alle umschlingen. Mutti liest immer noch Winnetou. Ihre Stimme füllt den Raum gemeinsam mit den Schlaflauten meiner Geschwister. Ich streichle leise meinen Bauch, die Beine etwas auseinandergelegt und höre aufmerksam zu. Die rechte Hand liegt zwischen den Beinen, da wo sie zusammengewachsen sind, mit der Linken mach ich eine leicht gekrümmte Faust, und jedesmal, wenn Mutti Winnetou sagt, schnellt einer meiner Finger in die Luft. Ich zähle den Namen Winnetou an den Fingern meiner linken Hand. Mit dem kleinen Finger der Rechten fang Ich an, ‹mich zu befriedigen›, wie man dazu sagt. Mutti sagte dazu onanieren, als sie mein Nachthemd entdeckt hat. Onanieren gefällt mir besser, die vielen ‹i's› in befriedigen sind zu kratzig, sie erinnern mich an den Fingernagel des Alten damals im Sägewerk. Ich nenne es krauen oder Zapferl drehen, heiß und kalt, am liebsten erfinde ich für jedes Spiel einen neuen Namen. Diesmal sage ich eben Winnetou dazu.

Wenn ich ganz schnell meine Fingerkuppen drehe bis zum ‹Winn›, dann ist das der Aufstieg wie auf einen Berg. Beim ‹e› verweile ich etwas auf dem Berggipfel, und das ‹tou› ist die sausende Abfahrt durch Schneegestöber bis ins tiefste Tal runter. Hab ich das Winnetou mit meinem kleinen Finger erledigt, kommt der Ringfinger an die Reihe. Ich mag ihn nicht, weil er steif und unbeweglich ist und viel zu schnell mInüde wird; so darf der Zeigefinger aushelfen, der Ringfinger muß zur Strafe gestreckt und nackt von der Hand abstehen. Ich hab schon zum drittenmal mit der linken Hand fünf Finger durchgezählt. Wenn die Hand einmal in der Reihenfolge vom Daumen zum kleinen Finger gestreckt ist, krümm ich die große Zehe am rechten Fuß, die linke zählt nur die einzelnen Winnetous, und die rechte zuerst und dann die linke die vollen fünf Winnetous der linken Hand. Ich hab viel zu tun, und Mutti liest und liest. Der einzige Laut, der von mir kommt, ist ein leises Räuspern, aber nur dann, wenn ich das schöne Gefühl gehabt habe, weil mir dann das Herz bis zum Hals klopft, und ich sekundenlang keine Luft mehr bekommen kann. Früher hatte Mutti nichts dagegen einzuwenden, sie hat es nicht einmal gehört, aber nachdem sie das Nachthemd entdeckt hat, darf ich nicht mehr räuspern. Vielleicht ‹befriedigt› sie sich selbst und braucht das Vorlesen als Tarnung! Ich nehme mir fest vor, ihr Bett niemals mehr zu berühren, weil sie beim Lesen immer eine Hand unter der Decke hat. Da sie mich ewig beobachtet, bin ich bald perfekt in meinen Spielen. Kein Glied an meinem Leib zuckt nach dem ‹Tou›. Mit der Linken hebe ich die Decke über mein Pipi, das Räuspern vertausch ich gegen richtig lautes Husten, Mutti merkt nichts mehr. Mein Nachthemd ist unbefleckt, weil ich mir zu meinem letzten Geburtstag einen kleinen Hund aus Schafsfell gewünscht habe. Sein kleines Stummelschwänzchen löst meine Finger oft ab, und wenn mein Tier feucht ist, trockne ich's am Hundefell. Ich habe ihn sehr gern, diesen kleinen Kerl mit der Foxlschnauze und den grünen Augen aus Glas; Mutti hat mir damit eine riesige Freude gemacht, die ich niemals vergessen werde. - Jo Imog, Die Wurliblume. Reinbek bei Hamburg 1972 (rororo 1471, zuerst 1967)

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