indempfindlichkeit
Der Glanz und die Pracht, welche die beperlte Wiese äußerlich für uns hat, ist,
denke ich, bloß ein äußerlicher Abglanz von der Seelenfreude, welche sie innerlich
hat...
Wie mit Tau und Regen, mag es mit dem Winde sein. Es würde viel mehr davon
umsonst verwehen, wenn die Pflanzen nicht mehr von seinem Wehen als wir vernähmen.
Darum schützen sie sich durch keine Häuser, keine Mäntel, keine Schlupfwinkel
dagegen, sondern stehen frei draußen, beugen sich und neigen sich, schwanken
und zittern im Winde. Daß sie in die Erde festgewachsen sind, gibt demselben
noch einen ganz ändern stärkeren Angriff auf sie als auf uns; bis in die Wurzeln
reicht die Erschütterung, und jedes Blatt bebt und rauscht. Ich meine, daß die
Pflanze hierbei wohl noch ein stärkeres Gefühl davontragen mag, als wenn der
Wind uns durch die Haare fährt. Unsere Haare sind tote Teile unserer selbst;
die Blätter der Pflanzen aber lebendige; unsere weichen, mit Gelenken gegliederten
Teile sind nicht so geeignet, die Erschütterung aufzunehmen und durch sich fortzupflanzen
wie ihr steifer Stamm oder Stengel. Wir haben nur ein kleines Trommelfell in
uns, was fest ausgespannt ist und von den Luftwellen erzittert. Die Pflanze
ist durch und durch ein solches Trommelfell, auf das der Wind trommelt; und
hören wir die Töne äußerlich im Sausen des Windes durch das Laub der Bäume,
wie anders mag die Pflanze das innerlich empfinden. Man denke daran, daß es
niemand außer uns hört, wenn wir eine harte Brotrinde kauen, während wir es
innerlich sehr stark hören. Selbst bei scheinbar ruhiger Luft, wenn es schneit,
sehen wir die Schneeflocken auf- und ab-, hin-und herfliegen. Was spüren wir
von dieser Luftbewegung? Wir haben keine Organe dazu. Die Pflanze ist wohl ganz
Organ dazu; die kleinste Bewegung der Luft bringt doch eine leichte Erschütterung
und Biegung an ihr hervor, die durch das Ganze wirkt; denn nicht bloß die Erschütterung,
auch die Biegung tut's. Wird hier ein Blättchen gebogen, so wird zugleich ein
Weg zugeschnürt, und die Säfte müssen durch die ganze Pflanze, sei's auch noch
sowenig, anders gehen. Rauscht der Wind stärker durch den Wald, ergreift sogar
uns selbst schon ganz unwillkürlich das Gefühl, der Geist der Natur rausche
hindurch. Und in Wahrheit sind uns nun die Baume und Blumen Saiten einer großen
Seelenharfe geworden, die der Wind spielt. Jede Saite klingt anders daran; weil
jede anders dazu gebaut ist, und Gott wird das allgemeine Spiel in sich vernehmen.
- Gustav Theodor
Fechner, Nanna oder Über das Seelenleben der Pflanzen. In:
G. T. F., Das unendliche Leben. München 1984 (zuerst 1848)
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