Wildling  Hier und dort hat ein Menschenkind das Zugeschnittenwerden nicht ertragen. Es möchte in irgendeiner Weise ein Ganzes sein, sich auf eigene Faust ernähren ohne zu gehorchen, und mit ein wenig Vorrat versehen möchte es sich wieder auf den Weg, auf die endlose Straße und von der Straße abseits in irgendeine Wildnis begeben.

Überwiegend sind es junge Menschen, die sich als Wildlinge versuchen. Es ist natürlich ein wenig traurig, zu sehen, wie kindisch unfähig sie das anfangen. Sie vermuten, daß Geld der Kern der Sache ist. Geld bekommt man als Brigant, als Räuber. Als Räuber begibt man sich in den dunklen Wald an der Straße. Man mag nicht gern sein Gesicht zeigen, und deshalb schwärzt man sich selbst an oder legt eine Maske vor. Dann bedroht man den verschüchterten Reisenden und zeigt seine Waffe. Man tut wie ein Löwe, den nichts erschüttern kann. Und alle diese Dinge hätten ihre sehr lustigen Einzelheiten, wenn das ganze Spiel der Wildlinge, die sich nicht zuschneiden lassen wollen, nicht so tief traurig wäre.

Man will nicht erkannt werden. Man will sich glauben machen, daß einem niemand in die Augen sehen kann. Wenn man nicht gesehen werden kann, so braucht man selbst nicht zu sehen. Die Maske spielt eine wichtige Rolle in jeder menschlich-feindlichen Beziehung, und doch ist alles das eine Kinderei und eine Kette von Beweisen der Unfähigkeit. Staaten glauben einander zu täuschen, indem man Diplomaten schickt, die für ihr eisernes Gesicht berühmt sind. Man droht, wie eben unsere kleinen Wildlinge von fünfzehn bis zwanzig Jahren am späten Abend im Dschungel der Straßen. Man droht, aber da man schon weiß, daß Drohungen allein genügen, hat man nicht einmal eine Waffe bereit. Welches Stück blanken Metalls man in der Hand hat -der Bedrohte glaubt, daß es eine Waffe ist. Da ist die befremdliche Todesangst. Bei diesem kläglichen Leben, dieser Sklaverei, bei diesem verkrüppelten Dasein: Immer noch Todesangst. Die Menschen ruinieren in unseren Städten ihr eigenes Leben durch die Todesangst vollkommen. Aber der kleine Banditen-Wildling hat genauso sehr die Todesangst. Er hat die Angst vor dem Zugeschnittenwerden, er hat die Angst, einfach als Armer in die Wildnis zu gehen und dort zu leben -was ihm niemand verbieten würde.

In dieser Stadt werden nichts als Ängste gegeneinander ausgespielt.  - Ernst Fuhrmann, Leerlauf der Erziehung. Nach (fuhr)

 

Wildheit

 

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