Wiedervereinigung   Nun hatten ihn Erschöpfung und Überdruß die alte Stelle wiederfinden lassen, wo er ohne Bedenken müde sein durfte. Gedankenlos müde, wie er nicht mehr geglaubt hatte sein zu dürfen, seit ungezählten Jahren, und nicht mehr zu können, seit er seine Rolle für sich in Anspruch nahm: sie war eine Art Statistenrolle im Repertoiretheater des gesellschaftlichen Überbaus. Dies hatte er erreicht: das hinlänglich geduldete Versatzstück zu sein zweier verschieden impotenter Leseländer, wo er dauernd auf der Hut sein mußte, daß die Lust an ihm in einem der beiden nicht erlahmte, - weder hier noch da, in den beiden pervertierenden Ersatzkulturen, die sich doch nur wechselseitig abstützten, wie zwei Krüppel, die mit den blutunterlaufenen Fressen gegeneinander gefallen waren.   - Wolfgang Hilbig, Grünes grünes Grab. Frankfurt am Main 1993

Wiedervereinigung  (2)  In der Nacht der Fußballspiele hatte sich ihr Romeo nicht eine, sondern drei Frauen eingeladen und wollte sich das Vergnügen gönnen, sie alle drei zusammen zu besteigen. Es war ihm wohl eine Phantasie dieser Art in den Sinn gekommen. Er hatte sich drei ältere fette Nutten ausgesucht, solche, die aussehen wie Hausfrauen, die mit ihrer Einkaufstasche in den Alleen unterwegs sind. Er hatte sie irgendwo untergebracht, dann war er hinuntergegangen, um Schnäpse zu besorgen, vielleicht hatte er eine Orgie geplant. Er ging also aus dem Haustor, und genau in dem Moment kommt noch eine fette Frau gelaufen und wirft sich ihm an den Hals. Aber auch der sogenannte Romeo war staubbedeckt, als hätte man ihn in Mehl gewälzt, so erzählt Alida. In Mehl gewälzt war auch seine dunkle Brille, weswegen er seine Frau, oder seine sogenannte ehemalige Frau, nicht wiedererkannte, die in der letzten Zeit noch dazu so unförmig geworden war. Vielleicht hatte er gedacht, sie sei noch eine Kuh, die mit ihm ins Bett wollte, sagt Alida, und er sah sie überrascht an, wegen der heißen Umarmung.

Und so fanden sie sich wieder und blieben dann zusammen, sie und ihr Mann, wie es in der Erzählung heißt. Ich glaube, sie leben immer noch zusammen, wenn sie noch nicht gestorben sind. Ich stelle mir vor, daß Romeo noch immer staubbedeckt ist und ihm vielleicht da und dort ein wenig Schimmel wächst. Und vielleicht versucht sie manchmal ihn sauberzumachen, und sie steckt ihn in die Badewanne und reibt ihn gründlich ab, um ihm den Schimmel wegzumachen. Zur Zeit dieser Erzählung war Romeo, wie ich rekonstruiert habe, ein ziemlich reicher Mann geworden, denn er handelte mit Kühen.   - Gianni Celati, Im Nebel und im Schlaf. In: G. C., Cinema naturale. Berlin 2001

 

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