iedergeburt  Ein  nganassanischer Schamane berichtete, daß man ihn bei seiner Jenseitsreise auf einen See hinaustrug, wo ihm von der Stimme der Pocken, an denen er erkrankt war, offenbart wurde, daß ihn der Herr des Wassers zum Schamanen bestimmt habe. Von der Herrin des Wassers wurde er anschließend gesäugt, und der Herr der Unterwelt gab ihm zwei Führer mit auf den Weg, eine Maus und ein Hermelin. Auch er gelangte in ein Zeltlager, wo ihm die Geister der verschiedenen Krankheiten begegneten. Nach einer Reise durch das Land der Schamaninnen, die ihn singen lehrten, kam er zum Baum des Herrn der Erde, der ihn anwies, sich aus einem Ast des Baumes eine Trommel zu fertigen. Hier sah er auch die Stammeltern aller Pflanzen der Erde, und man unterrichtete ihn über die Heilkraft der Kräuter. Später traf er auf die Mütter der Rentiere, die ihn ebenfalls unterwiesen und ihm Geschenke mitgaben. Dann durchquerte er eine Wüste und begegnete schließlich einem nackten Mann, der ihn in Stücke riß und drei Jahre lang in einem gewaltigen Kessel kochte, während gleichzeitig sein Kopf geschmiedet wurde. Auch hier erhielt er Anweisungen für seine künftige Tätigkeit. Schließlich setzte der Schmied seinen Körper neu zusammen, gab ihm andere, mystische Augen und durchstach seine Ohren, damit er auch die Sprache der Pflanzen verstehe.

Nach dieser Wiedergeburt erwachte der Schamane in seiner Behausung.  -  Alfred Stolz, Schamanen. Ekstase und Jenseitssymbolik. Köln 1988 (dumont Taschenbücher 210)

Wiedergeburt (2) Meine Wiedergeburt Wissen Sie, ich habe mir das immer so schön gedacht, und da dürfen Sie nicht sagen, es ginge nicht. Es kommt sicherlich so, und Sie können mich heute schon »Fräulein« nennen. Sehen Sie, früher, da bin ich sicherlich einmal ein Hund gewesen, denn heute noch habe ich für alle Hunde die regste Sympathie. Ich liebe sie, wie sie in ihrer ganzen Gesinnung anständig sind, moralisch, offen, treu, ohne Rachsucht, eben durchaus Charakter. Sehen Sie, so war ich. Und wenn ich Hunde sehe, kann ich sie nicht in Ruhe lassen, ich muß sie freundlich anbellen, meine alten Kollegen. Und da habe ich mir einen Bell angewöhnt, den alle Hunde täuschend finden. Jeder bellt entrüstet wieder, und manchmal wollen sie mich sogar in die Hose beißen. Sehen Sie, und nun wurde ich Mensch, ja sogar Journalist. Das ist eine ganz bösartige Sorte von Menschen ohne jede Spur von Charakter. Zwar sind sie moralisch, aber nur in ihren Schriften, denn wir Journalisten kennen auch das sogenannte Leben von der Schattenseite, besonders nachts, wenn es keine Schatten mehr gibt. Dahingegen sind wir offen bis zur Gemeinheit, wenn es gilt, die Untugenden der anderen bloßzustellen. Aber beruhigen Sie sich, mein Herr, im Grunde schreiben wir Journalisten ja doch nur für uns selbst. Das sind alles unsere eigenen abscheulichen Untugenden, die wir geißeln. Und treu sind wir der Partei, die wir machen. Wenn einer von uns bloß einmal einen Artikel schreibt, so gründet sich um ihn schon eine Partei. Jawohl, wir kennen unseren inneren Wert als wie ich zum Beispiel. Und rachsüchtig? Nein, das kommt bei uns nicht in Frage, überhaupt nicht in Frage. Sehen Sie, wir sind wohl kritisch und unterscheiden da gut und böse ohne persönliche Einstellung zu den Dingen. Und so bin ich schon auf dem besten Wege zu engelreinem Wesen, und ich weiß es ganz genau, das nächste Mal werde ich als Fräulein zur Welt kommen. Dann sollen Sie aber erst was erleben! Und nun habe ich mir das schon so schön gedacht, so furchtbar nett, daß ich fast keine Lust mehr habe, als Journalist weiterzuleben. - Kurt Schwitters (1926)

Wiedergeburt (3) Während die Tür geschlossen wurde, hörte ich die Studentin noch reden. »Winterschlaf!« — sagte sie. »Vitrifizieren! Das ist ja eine Zeitreise, wie romantisch!« Ich war anderer Meinung, aber was half das? Ich mußte die fiktive Außenwelt gewähren lassen. Gegen Abend des nächsten Tages führten mich zwei Wärter in den Operationssaal. Dort stand ein Glasbecken, woraus so eisige Dämpfe aufstiegen, daß der Atem stockte. Ich bekam Unmengen von Spritzen, dann wurde ich auf den Operationstisch gelegt und durch ein Röhrchen mit süßlicher klarer Flüssigkeit vollgetränkt; das sei Glyzerin, erklärte mir der Oberwärter. Er war nett zu mir. Ich nannte ihn Halluzius, Als ich schon hinwegdämmerte, beugte er sich über mich und rief mir noch ins Ohr: »Frohes Erwachen

Ich konnte nicht antworten und nicht einmal einen Finger bewegen. Die ganze Zeit hindurch — wochenlang! — hatte ich befürchtet, die Leute könnten zu hastig sein und mich schon vor dem Eintritt der Bewußtlosigkeit ins Becken werfen. Sie übereilten sich offenbar wirklich. Denn als letzter Laut aus dieser Welt drang an meine Ohren der Platsch beim Eintauchen meines Körpers in den Flüssigstickstoff. Ein garstiger Laut.

Nichts.

Nichts.

Nichts. Schlechterdings gar nichts!

Fast hätte ich gemeint: etwas. Ja denkste! Nichts.

Es gibt nichts. Mich auch nicht.

Wie lange noch? Nichts.

Etwas, wie mich deucht. Allerdings nicht gewiß. Ich muß mich konzentrieren.

Etwas. Aber sehr, sehr wenig. In anderen Verhältnissen würde ich sagen: nichts.

Gletscher, Weiße und blaue. Alles ist aus Eis gemacht. Ich auch.

Hübsch, diese Gletscher. Wenn es bloß nicht so saukalt wäre!

Eisnadeln und Schneekristalle. Arktis. Eisscholle im Maul. In den Knochen — — Mark? Wieso Mark? Nein, reines glasklares Eis. Es ist eisig und starr.

Gefriergemüse — das bin ich! Aber was heißt »ich«? Das ist die Frage.

Noch nie war es so kalt. Zum Glück weiß ich nicht, wem. Mir? Was heißt »mir«? Wem? Dem Gletscher? Ob Eisberge Löcher haben?

Ich bin ein Winterblumenkohl im Sonnenschein. Frühling! Schon taut alles auf. Insbesondere ich. Im Mund steckt ein Eiszapfen oder aber eine Zunge.

Also doch die Zunge. Sie martern mich, wälzend, knickend,  reibend und, wie mir scheint, sogar hauend. Ich liege unter einer Kunststoffplane. Über mir — Lampen. Also dadurch verfiel ich auf diesen Blumenkohl im Treibhaus. Ich muß mir etwas vorgefiebert haben. Weiß ist es hier, überall weiß. Aber das ist nicht Schnee, das sind die Wände.

Die haben mich aufgetaut. Zum Dank habe ich beschlos-sen, ein Tagebuch zu schreiben, sobald ich die Feder zwischen den klammen Fingern werde halten können. In den Augen habe ich noch immer eisige Regenbogenfarben und blaues Glitzern. Teuflische Kälte. Aber nun kann ich mich schon wärmen.

27. 7. Meine Neubelebung soll drei Wochen erfordert haben. Es gab da Schwierigkeiten. Ich sitze im Bett und schreibe. Mein Zimmer ist tagsüber groß und abends klein. Junge hübsche Frauen mit Silbermasken sind meine Pflegerinnen. Manche haben keine Brüste. Ich sehe doppelt, oder aber der Chefarzt hat zwei Köpfe. Die Verpflegung ist ganz normal. Weizengrütze, Stollen, Milch, Haferflocken, Beefsteak. Die Zwiebeln leicht angebrannt. Gletscher erscheinen mir nur noch im Traum, aber dort mit gräßlicher Ausdauer. Ich friere ein, beeise und vereiszapfe mich, über und über beschneit und knirschend von spät bis früh. Wärmeflaschen und Umschläge nützen nichts. Am ehesten hilft noch Weingeist vor dem Einschlafen.

28. 7. Diese Frauen ohne Brüste, das sind die Studenten. Anders lassen sich die Geschlechter gar nicht mehr unterscheiden. Alle Leute sind groß und hübsch und lächeln immerzu. Ich bin schwach, launisch wie ein Kind, alles stört mich. Heute nach der Injektion stieß ich die Nadel ins Sitzfleisch der Oberschwester. Sie aber lächelte mich sofort wieder an. Manchmal scheine ich mit meiner Eisscholle davonzutreiben — will sagen, mit dem Bett. Auf die Zimmerdecke projizieren sie mir Häschen, Emschen, Kühchen, Würmchen und Mistkäferchen. Warum? Ich bekomme die Kinderzeitung. Aus Versehen?

29. 7. Ich ermatte rasch. Aber ich weiß schon: früher, das heißt, zu Beginn der Neubelebung, da fieberte ich mir etwas vor. Angeblich hat das so zu sein. Das ist normal. Die Ankömmlinge aus den fernen Jahrzehnten werden allmählich an das neue Leben gewöhnt. Der Vorgang erinnert an die Bergung von Tauchern, die ja aus großer Tiefd nicht jählings heraufgeholt werden dürfen. So auch der Tauling (dies ist das erste neue Wort, da ich lernte); schrittweise wird er auf die ihm unbekannte Welt vorbereitet. Wir schreiben das Jahr 2039. Jetzt ist Juli. Sommer. Schönes Wetter. Meine persönliche Pflegerin heißt Aileen Rogers. Sie ist dreiundzwanzig und hat blaue Augen. Wiedergeboren wurde ich in einem Revitarium bei New York. Anders gesagt — in einer Aufersteherei. So nennen das die Leute. Das ist fast eine Stadt für sich, eine Gartenstadt. Eigene Mühlen, Bäckereien, Druckereien. Denn anderswo gibt es kein Getreide und keine Bücher mehr. Aber es gibt Brot, Sahne zum Kaffee und auch Käse. Nicht von der Kuh? Die Pflegerin dachte, »Kuh« sei der Name einer Maschine. Ich kann mich nicht verständlich machen. Wo kommt die Milch her? Vom Gras. Versteht sich, vom Gras, aber wer frißt es, so daß es zu Milch wird. Niemand frißt es. Woher kommt also die Milch, Aus dem Gras. Von selbst? Von selbst wird sie daraus? Nein, nicht von selbst. Das heißt, nicht ganz von selbst. Man muß mithelfen. Die Kuh hilft mit? Nein. Welches Tier denn sonst? Gar kein Tier. Wo kommt also die Milch her? — Und so weiter, immer im Kreis herum. - Stanislaw Lem, Der futurologische Kongress. Frankfurt am Main 1996 (zuerst  1972)

Wiedergeburt (4) Andere Geschichten erzählen, wie Menschen in Tiergestalt erscheinen. Auch hierzu findet sich eine Geschichte, die einen Helden kennt, der zu den 24 Begleitern Parthulons gehörte. Dieser landete als erster in Irland und machte alle aufeinanderfolgenden Invasionen mit. Weil ein einziges Menschenleben dazu nicht ausreicht, muß er jedesmal wiedergeboren werden. Nacheinander lebt er als Hirsch, Eber, Falke und Lachs. In seiner letzten Gestalt wird er gefangengenommen und gekocht. Die Gattin des irischen Königs Carell verspeist ihn. Er wird als dessen Sohn wiedergeboren und sogar noch von Patrick getauft. - Hans-Jürg Braun, Das Jenseits - Die Vorstellungen der Menschheit über das Leben nach dem Tod. Frankfurt am Main 2000 (it 2616, zuerst 1996)

Wiedergeburt (5) Die Bauern scharen sich, ohne von der Stelle zu weichen, vor dem Stabsgebäude.

An Stricken zerren sie die widerstrebenden, vor Schwäche strauchelnden Klepper hinter sich her. Ihrer Ernährer beraubt, ohne jede Hoffnung beeilen sich die Bauern — in einem Aufwallen bitteren Muts und wissend, daß der Mut nicht lange reichen wird — Frechheiten loszulassen gegen Obrigkeit, Gott und ihr eignes bitteres Los.

Stabskommandeur Z. steht in voller Uniform auf der Treppe. Die entzündeten Lider halb geschlossen, hört er den Beschwerden der Bauern mit sichtlicher Aufmerksamkeit zu. Doch seine Aufmerksamkeit ist nicht mehr als ein Trick. Wie jeder geschulte und übererschöpfte Militär weiß er, in leeren Minuten des Daseins die Gehirntätigkeit gänzlich auszuschalten. In diesen wenigen Minuten kuhseliger Gedankenlosigkeit schüttelt der Chef unseres Stabes die abgenutzte Maschine wieder auf.

So auch diesmal mit den Bauern.

Unterm beruhigenden Accompagnement ihres zusammenhanglosen und verzweifelten Stimmengewirrs verfolgt Z., nebenbei, jene sanften Stöße im Gehirn, die Klarheit und Energie des Denkens ankündigen. Ist die nötige Pause um, fängt er die letzte Bauernträne auf, beißt im Befehlston zurück und geht zu sich in den Stab, um zu arbeiten.

Diesmal brauchte er nicht zurückzubeißen. Auf seinem feurigen englischen Araber sprengte Djakov auf die Treppe zu, ehemals Zirkus-Athlet, heute Chef der Kavallerie-Reserve — rote Fresse, grauer Schnurrbart, schwarzer Umhang und Silberlampassen an den roten Pluderhosen.

— Allen ehrlichen Schweinen den Segen des Abts! — rief er, das sich aufbäumende Pferd zum Stehen bringend, und im selben Augenblick brach, ihm vor dem Steigbügel, ein elender Gaul zusammen, einer, den die Kosaken eingewechselt hatten.

— Da, Genosse Kommandeur, — heulte ein Bauer und klopfte sich an die Hosenbeine, — da siehst du, was ihr unsereinem gebt . . . Hast dus gesehen, was sie uns geben? Und mit sowas soll man ackern . . .

— Für dieses Pferd, — begann da Djakov mit Nachdruck und gewichtig, — für dieses Pferd, verehrter Freund, kannst du von der Kavallerie-Reserve mit vollem Recht fünfzehntausend Rubel verlangen, und wenn dieses Pferd noch ein bißchen munterer wäre, in diesem Fall, guter Freund, bekämst du von der Kavallerie-Reserve sogar zwanzigtausend Rubel. Aber daß das Pferd gestürzt ist, hat nichts zu sagen. Wenn ein Pferd stürzt und wieder aufsteht, dann ist es ein Pferd, andersrum gesagt, wenn es nicht wieder aufsteht, dann ist es kein Pferd. Aber, im übrigen, diese anständige Stute, die steht mir wieder auf .. .

— Oh Gott, du meine barmherzige Mutter, — winkte der Bauer ab, — wie soll das arme Vieh denn aufstehn . . . Es krepiert doch gleich, das Arme .. .
— Du beleidigst das Pferd, Gevatter, — antwortete mit tiefster Überzeugung Djakov, — du lästerst geradezu Gott, Gevatter, — und gewandt hob er seinen stattlichen Athletenkörper aus dem Sattel. In den schönen Beinen federnd, die um die Knie mit Riemchen geschnürt waren, hochaufgeschossen und gewandt, wie auf der Bühne, bewegte er sich auf das verendende Tier zu. Dieses richtete kläglich sein strenges tiefes Auge auf Djakov, leckte von dessen himbeerroter Handfläche etwas wie einen unsichtbaren Befehl und sofort verspürte das entkräftete Pferd die kundige Kraft, die von diesem ergrauten blühenden und strotzenden Romeo ausging. Schnuppernd und mit den Beinen, die immer wieder einknickten, ausgleitend, das Kitzeln der ungeduldigen und gebieterischen Peitsche unter dem Bauch, hob sich die Mähre langsam-aufmerksam auf die Beine. Und so sahen wir alle, wie das schmale Handgelenk im wehenden Ärmel durch die schmutzige Mähne fuhr und die Peitsche sich mit einem Stöhnen an die bluttriefenden Flanken schmiegte. Am ganzen Körper zitternd, stand die Mähre auf allen Vieren und ließ von Djakov keinen Blick ihrer ängstlichen, verliebten Hundeaugen.

— Na bitte, es ist ein Pferd, — sagte Djakov zu dem Bauern und setzte milde hinzu, — und du hast dich beschwert, guter Freund . . .

Er warf der Ordonnanz die Zügel zu, dann nahm der Chef der Kavallerie-Reserve die vier Stufen mit einem Satz und verschwand, den Opernumhang um sich werfend, im Stabsgebäude. - Isaak Babel, Die Reiterarmee. Berlin 1994 (Friedenauer Presse, neu übs. von Peter Urban - zuerst 1926)

Wiedergeburt (irische)  Der Held landete als erster in Irland und machte alle aufeinanderfolgenden Invasionen mit. Weil ein einziges Menschenleben dazu nicht ausreicht, muß er jedesmal wiedergeboren werden. Nacheinander lebt er als Hirsch, Eber, Falke und Lachs. In seiner letzten Gestalt wird er gefangengenommen und gekocht. Die Gattin des irischen Königs Carell verspeist ihn. Er wird als dessen Sohn wiedergeboren und sogar noch von Patrick getauft. - Hans-Jürg Braun, Das Jenseits - Die Vorstellungen der Menschheit über das Leben nach dem Tod. Frankfurt am Main 2000 (it 2616, zuerst 1996)

Wiedergeburt (6)  Das merkwürdigste Wesen in der Gesellschaft von Frau Steindamm war die 92jährige Frau Dr. Paulus. Es ist eine durch das Alter ganz stumpfsinnig gewordene Dame, die sich aber für die Reinkarnation von Giordano Bruno hält und außerdem die intimste Freundin der berühmten Theosophin Annie Besant war. Man nennt sie in Askona die Geißel der Sittlichkeit. Sie taucht bei jeder unsittlichen Tat auf (unsittlich sind für sie auch Alkoholtrinken, Rauchen und Fleisch essen) und schmettert eine asketische Rede. Nebenbei ist sie aber auch deutschnational. - (szi) 

Wiedergeburt (7)

Wie treulich hört ich deine Bauchaorta schlagen.
als ich an deiner Neugeburt nahm teil!
Du streicheltest mir meinen neuen Kragen
und parfümiertest dich mit Bibergeil.

Du lehrtest mich geheime Technizismen,
die Trommel und das große Alphabet,
als deiner Locken kühngeschwungne Prismen
in deinem Trance verschwanden vom Tapet.

Ich schickte klug dein Blut zur Analyse,
Genoß es dann in Kaffee (so im Traum).
Du botest mir das stachlige Gemüse
und blaues Fleisch von einem Feigenbaum.

Dich interviewten sämtliche Gemeinden
in unsrer jüngst entdeckten Totenstadt.
Du warst so groß! Selbst meinen ärgsten Feinden
gewährtest du erheblichen Rabatt.

-  Edgar Firn, Bibergeil. Pedantische Liebeslieder (1919)

Wiedergeburt (6) Vorzüge, die ein Bodhisatta genießt

Er wird nicht in 18 ungünstigen Wiedergeburtsformen geboren:

als Mensch: nicht

1 blind
2 taub
3 geisteskrank
4 sabbernd
5 verkrüppelt
6 leprös
7 als Barbar
8 als Sohn einer Sklavin
9 als Anhänger einer Irrmeinung (d.h. er hat keine verkehrten Ansichten und hat Einsicht in das Wirken von Karma)
10 immer männlichen Geschlechts (nie weiblichen Geschlechts, als Zwitter oder als Eunuch)
11 er begeht nie eine der fünf unheilsamsten Taten : Vatermord, Muttermord, Arahantmord, tätlicher Angriff auf einen Buddha, Ordensspaltung

als Tier: (12)

wird er nie weniger als eine Wachtel oder mehr als ein Elefant
nicht als (13) Gespenst oder als Kalakañjaka (unterste, furchterregende Klasse der Asura)
in Höllen: nicht in (14) Avici-Hölle (schrecklichste der Höllen) oder in Lokantaraniraya (Klasse von Höllen für sehr unheilsame Taten)
nicht (15) als Mara (m.) (personifiziertes Böses) (die personifizierte Manipulierbarkeit der Menschen)
in Rupaloka (m.) (Welt der Form, feinkörperliche Welt): nicht (16) als Asaññasatta (Wesen ohne Bewusstsein) oder in Suddhavasa (5 reine Gefilde, in denen Anagami (Nichtwiederkehrer) wiedergeboren werden:
nicht (17) in Arupaloka (m.) (formlose Welten)
nicht (18) in einem anderen Weltsystem

- Nach Alois Payer

Wiedergeburt (7)  Poimandres sprach: Erstlich wird in der Auflösung des stofflichen Leibes der Leib selbst der Veränderung übergeben, und die Gestalt, die er gehabt hat, wird unsichtbar, und die werk-losen Sitten werden dem Genio übergeben, und die Sinne des Leibes kommen wiederum in ihren Ursprung, und wenn sie zu Teilen gemacht sind, so werden sie wiederum in ihre Wirkung gesetzt.

Der Zorn und die Begehrlichkeit gehen in die unvernünftige Natur, und also fährt er endlich in die Höhe durch die Zusammenstimmung und gibt an den ersten Kreis die zu- und abnehmende Kraft,
an den zweiten, die Ausübung des Bösen und den werk-bösen Betrug.
An den dritten, ebenfalls die werk-böse begierliche Kraft.
An den vierten, die regier-böse Lust zu regieren.
An den fünften, die unheilige Kühnheit und ruchlose Verwegenheit.
An den sechsten, die böse Anreizung zu werk-bösem Reichtum.
An den siebenten Kreis, die niederliegenden Lügen.

 

Und alsdann, wenn er von der Wirkung der Zusammenstimmung entblösst ist, kommt er zu der achten Natur und hat seine eigene Kraft und lobet den Vater mit denjenigen, die allda sind und sich auch mit ihm über seine Ankunft erfreuen.

Und wenn er denselben ist gleichgeworden, so hört er auch die Kräfte, die über der achten Natur sind, mit ihren eigenen Stimmen GOTT loben.

 

Und dann steigen sie in der Ordnung weiter zu dem Vater und begeben sich selbst unter die Kräfte, und wenn sie Kräfte geworden sind, kommen sie in GOTT. Und das ist das gute Ende von denjenigen, die Erkenntnis haben, nämlich, dass sie vergöttert werden. - Corpus Hermeticum

Wiedergeburt (8)  Die Menschenköpfe waren Tierleibern angewachsen. Schlangenähnlichen und vogelähnlichen.

Erschrocken griff ich nach der Herzgegend: Federn. Ich sah an mir herab: gefedert. Oder gefiedert?

Die vogelähnlichen Wesen um mich trugen dichtere Federkleider ah ich. Die Schlangen, auch geflügelt, waren nackt. Auf dem Dreifuß die Frau warf ihr Gewand mit Händen, die an auffliegende Spatzen erinnerten. Meine Freundin Chariklia aus Athen hatte solche Hände zum Theaterspielen, Inszenieren, Tanzen und Autofahren benutzt.

Die Schlangen begleiteten die Beschwörungsgesten der Frau mit Krächzen. Die Vogelwesen gaben keinen Laut. Als die Frau die gekauten Blätter ausgespuckt hatte, verstummten die Schlangen. Die Frau beugte sich über den Stein. Stille.

Dann Gemurmel. Stoßweis aus der Vermummung drang es. Monoton. Keine Rede. Kein Gesang. Nichts, was den Geist oder die Sinne erfreuen konnte. Doch die Schlangengesellschft lauschte gebannt. Zwei Schuppentiere krochen zum Stein. Die Vogelwesen ordneten ihr Federkleid, scharrten im Karst, schliefen ein. Ihre Körperform erinnerte an die Schneeule. Im Gegensatz zu dieser Tierart waren sie jedoch wie der Uhu mit zwei Kopfbüscheln versehen. Die Federohren wuchsen aber nicht wie beim bubo bubo über den Augen und auch nicht zwischen Schläfen und Hinterkopf, wo die Menschenohren sitzen, sondern am Haaransatz. Dort, wo Männer die Geheimratsecken erleiden. Ich schätzte die Flügelspannweite auf zweieinhalb Meter, die Körperhöhe auf einen und tastete meinen Kopf ab. Ich spürte kaum Federohren, aber Krallen. Im Flackerlicht, das aus der Erdspalte drang, mußte ich erkennen, daß ich mit Krallenhänden und Krallenfüßen auferstanden war. Einziger Trost: die Schwungfedern. Ich spreizte die Armschwingen und genoß den Auftrieb, der schon von zwei Schlägen baumhoch geriet.  - Irmtraud Morgner, Amanda. Ein Hexenroman. Frankfurt am Main 1984 (SL 529, zuerst 1983)

Wiedergeburt (9)  Das Sterben auf dem Monde ist nicht so wie das Sterben auf der Erde.

Wer auf dem Monde müde wird, fühlt bald in der dem Rumpfe naheliegenden Ballonhaut einen Schmerz. Und wer diesen Schmerz fühlt, schwebt hinab zu den Todesgrotten und läßt sich dort ein Pflaster auf den oberen Teil der Ballonhaut legen. Und das Pflaster lindert den Schmerz. Und aus der vordem schmerzenden Stelle wächst ein andrer Rumpf heraus, der anfänglich ganz klein wie ein Pilz ist — aber in Bälde Kopf und Armbildung zeigt.

Und während der alte Rumpf immer mehr zusammenschrumpft, entwickelt sich der neue Rumpf — genau in den Formen des alten; der neue hat nur anfänglich eine nicht so runzelreiche Haut.

Und der alte Kopf spricht zu seinem neuen Kopf — wie ein Vater zu seinem Kinde.

Und so geht der Geist des Vaters langsam in den des Sohnes über.

Und es ist eigentlich kein Tod — es ist nur eine Wiedergeburt.

Und es ist wundersam, zu sehen, wie das Alte in das Neue übergeht.

Und es ist wundersam, zu hören, wie das alte Ich zu seinem neuen Ich spricht und ihm alles erklärt, was es auf dem Monde wissen muß.

Und so lange spricht der alte Kopf - bis der neue genauso klug und ebenso weit ist wie der alte.

Und es ist so, als wenn sich Doppelgänger miteinander unterhalten.

Und es ist ein vollkommenes Aufgehen des Alten - im Neuen.

Und es stirbt eigentlich nur die Haut des Alten - die schließlich vergeht - wie eine Blume vergeht.   - Paul Scheerbart, Die große Revolution.  Ein Mondroman und Jenseitsgalerie. Frankfurt am Main 1985 (st 1182, zuerst 1902)

Wiedergeburt (10)  

Wiedergeburt (11)  Ein Heiliger stieg einstmals vom Himmel herab auf die Erde. Er reiste überall herum, ohne etwas zu sehen, das ihm gefiel. Nur die großen Schiffe der Menschen machten schließlich Eindruck auf ihn. Er nahm sich davon fünf und kehrte zurück zum Himmel. Aber der Wächter am Himmelstor ließ ihn nicht herein. »Es war nicht recht von dir«, sagte er, »heimlich den Himmel zu verlassen und herumzulaufen. Und wozu hast du den Menschen fünf große Schiffe weggenommen und hier heraufgebracht? In den Himmel kannst du jetzt nicht wieder herein. Noch heute mußt du zurück zur Erde gehen und wiedergeboren werden.« Der Heilige konnte nichts anderes tun, als zur Erde zurückzukehren. Zwischen zwei Bergen legte er seine Heiligengestalt ab und ging auf die Suche nach einer passenden Wiedergeburt. Er suchte und suchte lange Zeit, ohne das Richtige zu finden. Schließlich sah er einen reichen Mann mit einer trächtigen Kuh. Er ging in den Körper der Kuh hinein und wurde als Kälbchen wiedergeboren. Dem reichen Mann gefiel das Kälbchen, und er verliebte sich in das Tier. Morgens und abends ging er in den Stall, um es sich anzusehen. Er machte den Stall sogar selber sauber, und manchmal wusch er das Kälbchen und rieb es trocken.

So ging es zwei, drei Jahre lang, und das Kälbchen wuchs heran. Eines Tages sagte es zu seinem Herrn: »Übermorgen werden achtzehn Brüder hierher kommen. Mach zwei Tische fertig mit Wein darauf; leg dazu noch einen Sack Reis, einen Sack Silber und einen Sack Gold. Dann geh ihnen fünf Meilen entgegen.«  - Südchinesische Märchen. Hg. Wolfram und Alide Eberhard. Düsseldorf u. Köln 1976 (Diederichs, Märchen der Weltliteratur)

Wiedergeburt (12)  Der Geist, von dem man sagen kann, daß er sich in die Dinge (die nur Nichts sind) zunächst durch ihre Betrachtung versenkt, wird durch die Benennung ihrer Eigenschaften wiedergeboren, so daß sie es sind, die jene an seiner Stelle äußern.

Außer meiner fälschlichen Person sind es die Gegenstände, die Dinge der Zeit, denen ich mein Glück zuschreibe, wenn die Aufmerksamkeit, die ich ihnen widme, sie in meinem Geist wie einen Kompost aus Eigenschaften formt, wie Arten-sich-zu-verhalten, die jedem von ihnen eigen sind, reichlich unerwartet und ohne irgendeine Beziehung zu unserer eigenen Art, uns ihnen gegenüber zu verhalten. Wohlan, o Kräfte, o plötzlich mögliche Modelle, die ich entdecken werde, an denen der Geist sich ganz neu übt und sich selbst anbetet.  - (lyr)

Wiedergeburt (13)  Der Gedanke zerstörte die Anschauung, aber dem Prisma des Kristalls, zu dem die feurige Flut im Vermählungskampf mit dem feindlichen Gift gerann, entstrahlt die Anschauung neugeboren, selbst Fötus des Gedankens! - E. T. A. Hoffmann, Prinzessin Brambilla (zuerst 1820)

Wiedergeburt (14)  Verschiedene Lebenswege, die der Mensch nicht freiwillig in sich kreuzt, sollen vereint werden - und wenn der Weg über einen kurzfristigen Tod führt! Was macht es der Natur aus? Wie kann es den biologischen Gang hemmen, der keinen auch noch so geringen Wert, der einmal entstanden ist, verlieren kann? Die Natur kennt Krieg nur mit dem Ungehorsam der Menschen gegen ihren Befehl, der »Entwicklung« heißt.

Und ein solcher Gang der Entwicklung ist viele Male auf der Erde eingesehen worden. Begreift man die Reife der orientalischen Wiedergeburtslehren auch nur in diesem einen Punkt richtig, versucht man nicht nur zu glauben, sondern sich zu beweisen, daß jede Niedrigkeit im Menschen noch wieder durch eine Folge von Wiedergeburten wandern muß, so ergibt sich eine Einstellung von großer Perspektive. Ganz gewiß werden die niederen Geburten nicht so bald, theoretisch sogar vielleicht niemals aufhören, denn immer wieder wird Lebensstoff aus niederen Anfängen heraufgebaut werden müssen. Es wäre sehr töricht, eine homogene Menschheit zu erwarten. Hat jemals der Mensch einen Sinn darin finden können, eine homogene Tierheit für wahrscheinlich zu halten? Man dachte nicht daran. Nicht umsonst aber haben sich vor langen Zeiten schon die Priesterschaften aus den Kriegen selbst ausgenommen, weil sie den Wandel durch die Wiedergeburten schon in das gegenwärtige Leben hineinzuziehen suchten, und darin verstanden sie den biologischen Sinn des Naturwollens. Im Grunde aber können nur Menschen Geschichte machen, die ganz im Sinn dieses biologischen Willens der Natur stehen, und mag die Masse ihnen aus Unfähigkeit zeitweilig Opposition entgegenstellen und eben solche Priesterschaften morden oder vernichten - auch diese Werte kann die Natur nicht verlieren. Sie sind unabänderliche Gewordenheiten.  - Ernst Fuhrmann, Was die Erde will - Eine Biosophie. München 1986 (zuerst 1930)

Wiedergeburt (15)  

- Thomas Körner ("Tom")

Wiedergeburt (16) 

Wiedergeburt (17) Beim normalen Sozialisationszyklus des Erwachsenen erwartet man, daß auf Entfremdung und Erniedrigung ein neuer Glaube an die Welt und eine neue Sicht des eigenen Selbst und des der anderen folgen. Im Falle des hospitalisierten Geisteskranken gibt es zuweilen eine solche Wiedergeburt in der Form eines starken Glaubens an die psychiatrische Perspektive oder, zumindest kurzfristig, in Form der Hingabe an das soziale Anliegen einer besseren Behandlung für Geisteskranke. Die moralische Karriere des Geisteskranken ist jedoch von einmaligem Interesse; sie ist ein Beispiel für die Chance, daß der Mensch, der den Mantel seines alten Selbst von sich geworfen hat - oder dem er heruntergerissen wurde -, nicht mehr nach einem neuen Gewand oder nach einem neuen Publikum, vor dem er sich verbeugen könnte, zu suchen braucht. Stattdessen kann er, wenigstens für eine Zeit, lernen, vor allen Gruppen die amoralische Kunst der Schamlosigkeit zu praktizieren.  - Erving Goffman, Asyle. Über die soziale Situation psychiatrisher Patienten und anderer Insassen. Frankfurt am Main 1973


Geburt Wiederholung Buddhismus

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Verwandte Begriffe
MetamorphoseMetamorphoseSeelenwanderung

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