Wiederfinden  Ihr Blick wurde von etwas Glänzendem am Boden angezogen. Sie schaute hinab und erkannte nach kurzem Suchen den vor über fünfzehn Jahren verlorenen Armreif. Ergriffen, wie die Heiligen vor dem ersten Wunder gewesen sein mußten, hob sie ihn auf. Erst als die Nacht hereinbrach, konnte sie sich entschließen, den Reif wie einst über ihren linken Arm zu streifen.

Zu Hause schaute sie erst noch einmal auf ihren Arm, um sich zu vergewissern, daß der Reif sich nicht verflüchtigt hatte. Dann erzählte sie die Neuigkeit ihren Kindern, die ihr Spiel nicht unterbrachen, und ihrem Mann, der sie argwöhnisch ansah und seine Zeitungslektüre auch nicht unterbrach. Tagelang wachte sie morgens trotz der Gleichgültigkeit ihrer Kinder und des Mißtrauens ihres Mannes vor Freude über den wiedergefundenen Armreif auf. Die einzigen Menschen, die angemessen darüber gestaunt hätten, waren tot. Nun begann sie sich die Dinge genauer ins Gedächtnis zu rufen, von denen ihr Leben voll gewesen war. Sie entsann sich ihrer mit Sehnsucht, mit nie gekannter Begierde. Wie bei einer Inventur tauchten sie in ihrer Erinnerung in umgekehrter zeitlicher Reihenfolge nacheinander auf: Die Taube aus Bergkristall, an der Schnabel und Flügel abgesplittert waren, die Pralinendose in Klavierform, die Bronzefigur, die eine mit kleinen Glühbirnen bestückte Fackel hielt, die Messinguhr, das Marmorkissen mit den blauen Streifen und den Troddeln, das Fernglas mit dem Perlmuttgriff, die Tasse mit der Aufschrift und die Affen aus Elfenbein, die Körbe voller kleiner Äffchen mit sich trugen. Ganz selbstverständlich für sie, aber unerhört für uns übrige, barg sie Stück für Stück der Dinge, die so lange Zeit in ihrem Gedächtnis versunken waren.

Zugleich wurde sie gewahr, daß das Glück, das sie anfangs dabei verspürt hatte, langsam zu Unbehagen, zu Furcht und schließlich zur Sorge wurde. Sie schaute kaum noch hin, aus Angst, verlorene Dinge wiederzufinden.  - Silvina Ocampo, Die Dinge. In: Argentinische Erzählungen. Stuttgart 1984 (Bibliothek von Babel, Bd.2, Hg. Jorge Luis Borges)

Wiederfinden (2) Im Kampf wider den Pragmatismus und das gräßliche Zweckdenken verficht mein ältester Vetter das Verfahren, sich ein gutes Haar vom Kopf zu reißen, es in der Mitte zu knoten und sanft durch den Abfluß im Waschbecken fallen zu lassen. Sollte unser Haar in dem Rost hängenbleiben, der gewöhnlich in besagtem Abfluß sitzt, genügt es in der Regel, den Wasserhahn leicht aufzudrehen, damit es sich aus den Augen verliert. Nun nicht gesäumt und auf der Stelle ans Werk gegangen, um des Haares wieder habhaft zu werden! Der erste Handgriff beschränkt sich darauf, den Geruchsverschluß am Waschbecken zu demontieren, um zu sehen, ob sich das Haar in einer der Runzeln des Abflußrohrs verfangen hat. Findet man es nicht, muß das Rohrstück freigelegt werden, das vom Geruchsverschluß zur Wasserleitung des Hauptabflußrohres führt. Mit Sicherheit werden in diesem Teilstück viele Haare zum Vorschein kommen, und man muß auf die Hilfe der restlichen Familie rechnen, um die Haare nach der Reihe auf den Knoten hin zu untersuchen. Kommt es nicht zum Vorschein, stellt sich das interessante Problem, die Rohrleitung bis zum Erdgeschoß aufzubrechen; das aber bedeutet eine größere Kraftanstrengung, da man acht bis zehn Jahre lang in einem Ministerium oder Handelshaus wird arbeiten müssen, um das Geld zusammenzubringen, das die vier Wohnungen zu kaufen erlaubt, die unter der meines ältesten Vetters gelegen sind, wobei der ungemeine Nachteil ist, daß auch jene acht bis zehn Jahre Arbeit einem die schmerzliche Wahrnehmung nicht werden ersparen können, daß das Haar nicht mehr in der Leitung ist und nur durch einen unwahrscheinlichen Zufall an einem verrosteten Rohrvorsprung hängen bleibt.

Es kommt der Tag, an dem wir in sämtlichen Wohnungen die Rohre aufbrechen können, und monatelang werden wir zwischen Zubern und anderen mit feuchten Haaren gefüllten Behältern wohnen, von Helfern und Bettlern umgeben, die wir großzügig bezahlen, damit sie suchen, sichten, klassifizieren und uns die fraglichen Haare bringen, um die erwünschte Gewißheit zu erlangen. Ist das Haar nicht darunter, treten wir in ein weit vageres und komplizierteres Stadium ein, weil uns der nun folgende Streckenabschnitt zu den großen städtischen Kloaken führt....  - (cron)

 

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