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nach
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Wiederbegegnung (2) Einige Tage noch konnte ich
dem Drang, ihn zu beschimpfen oder zu fliehen, widerstehen. Doch eines Morgens,
nachdem er emphatisch ein dümmlich rührseliges Lied deklamiert hatte, bemerkte
ich, daß meine Verachtung sich in Haß verwandelte. ‹Und doch›, dachte ich, ‹bin
dieser Mann, über den ich lache, dieser lächerliche und unwissende junge Mann
in anderen Zeiten Ich selbst gewesen. In gewissem Sinne
ist er auch noch Ich. In diesen langen Jahren habe ich gelebt, gesehen, gerätselt,
gedacht, während er hier geblieben ist, in der Einsamkeit, unberührt, mir gleich,
so, wie ich war an jenem Tage, als ich diesen Ort verließ. Nunmehr verachtet
mein jetziges mein vergangenes Ich — obgleich ich zu jener Zeit, mehr noch als
heute, dachte, der überlegene Mensch, das hohe und edle Wesen, der Allwissende,
das wartende Genie zu sein. Und ich erinnere mich, daß ich schon seinerzeit
mein vergangenes Ich verachtete, jenes kleine Ich eines unwissenden und ungeläuterten
Knaben. Nun verachte ich den, der seinerzeit verachtete. Und alle diese Verächter
und Verachteten trugen denselben Namen, wohnten in demselben Körper, sind den
Menschen als ein einziges lebendes Wesen erschienen. Nach meinem jetzigen wird
sich ein neues Ich bilden, das meine Seele so beurteilen wird, wie ich heute
jene gestrige beurteile. Wer wird also Mitleid mit mir haben, wenn nicht ich
selbst?› Während ich dies dachte, sprach und deklamierte mein altes Ich. Ich
hatte ihm nichts mehr zu sagen und schwieg. Er hatte auch mir nichts mehr zu
sagen, doch anstatt zu schweigen, konstruierte er Phrasen und rezitierte fürchterlich
lange Gedichte. Was hatten wir eigentlich noch gemein? - Giovanni Papini,
Der Spiegel auf der Flucht. Die Bibliothek von Babel Bd. 19, Hg. Jorge Luis
Borges. Stuttgart 1984
Wiederbegegnung (3) Es kommt vor, daß uns
ein ungesunder Traum in eine Gegend trägt, wo alles einen knebelt, verrenkt
und würgt, weil es aus den Zeiten der Jugend ist — jung, und daher zu alt für
uns, zu verschollen und zu unzeitgemäß, und keine Qual kommt der eines solchen
Traumes, einer solchen Gegend gleich. Es kann nichts Schrecklicheres geben,
als zu Dingen zurückzukehren, denen man entwachsen ist, zu jenen ehemaligen,
jugendlichen, unreifen Dingen, die seit langem vergangen und erledigt sind .
. . wie zum Beispiel das Problem der Unschuld. Oh, tausendmal klüger sind die,
welche einzig der heutigen Problematik leben, der erwachsenen Problematik im
besten Alter, und die bereits unaktuell gewordene Probleme alten Tanten überlassen.
- (
fer
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Wiederbegegnung (4)
Wiederbegegnung (5) Tamara versuchte, unter das Sweat-Shirt zu greifen, kam aber nicht bis zur Schulter. Als sie die Hand zurückzog, streifte sie seitlich Giselas rechte Brust. Gisela drehte sich zu ihr um, nahm sie an der Hand und führte sie über den mit einem Mal gleißend hellen Flur zum Schlafzimmer. Dort machte sie die Nachttischlampe an und zog ihr Oberteil aus. Tamara drehte ihr auffordernd den Rücken zu, und Gisela öffnete ihr den Reißverschluß. Das Kleid rutschte zu Boden. Im selben Moment löste Tamara ihren Hüfthalter und ließ ihn etwas verlegen hinterherfallen. Immer noch stand sie mit dem Rücken zu Gisela. Gisela hakte den schwarzen Büstenhalter auf. Nun erst drehte sich Tamara zu ihr um. Sie umarmten sich wieder und küßten sich. Ihre Brüste drückten sich gegeneinander. Gisela zog ihre Hose und ihren Slip aus und Tamara ihre Strumpfhose und ihren Slip. Jetzt waren sie vollkommen nackt.
„Warte", sagte Gisela und klappte die beiden Türen des Schlafzimmerschranks zu einem großen Spiegel zusammen. Sie stellten sich davor und betrachteten sich. Tamara hatte mehr Bauch, nicht unbedingt dickere Schenkel, aber einen breiteren Hintern. Gisela blickte neidisch auf die runden und straffen Brüste. Tamara erkannte in der spitzen, ganz von einer Brustwarze überzogenen Brust Giselas ihre eigene natürliche Brust wieder.
Sie ließen sich beide aufs Bett gleiten, küßten und streichelten sich und
schliefen miteinander. Beide schauten sie dabei ab und zu kurz und etwas verlegen
in den Spiegel. Und eigentlich war es ein sonderbares Bild, das sich ihnen dort
bot: Tamara schlief mit einer jüngeren Tamara. Nach über fünfzehn Jahren begegnete
ein Körper noch einmal sich selbst in der Zeit. Gisela schlief mit einer Frau,
die schon vor ihr existiert hatte und ihr ähnlich sah. Tamara dachte: „So war
ich." Gisela dachte: „Wenn ich so werde, in Ordnung. Warum nicht?"
- (blue)
Wiederbegegnung (6)
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