iederbegegnung   Einer alten Jugendgeliebten wiederzubegegnen, die mit den Jahren nicht schöner geworden ist: Man begreift zwar auch nicht mehr, was man einstens gestammelt hat, aber das hängt doch wenigstens mit der rührenden Vergänglichkeit alles Irdischen und dem bekannt unbeständigen Charakter der Liebe zusammen. Aber eine Dichtung, die man wiedersieht, ist wie eine Jugendgeliebte, die zwanzig Jahre in Spiritus gelegen hat! Nicht ein Härchen ist anders, und nicht ein Schüppchen der rosigen Epidermis hat sich verändert. Ein Schauder faßt dich an! Nun sollst du wieder sein, der du warst, der Schein besteht auf seinem Schein: das ist eine Streckfolter, bei der die Sohlen an ihrem Platz geblieben sind, aber der übrige Körper tausendmal um die sich drehende Erde gewickelt worden ist! - (nach)

Wiederbegegnung (2)  Einige Tage noch konnte ich dem Drang, ihn zu beschimpfen oder zu fliehen, widerstehen. Doch eines Morgens, nachdem er emphatisch ein dümmlich rührseliges Lied deklamiert hatte, bemerkte ich, daß meine Verachtung sich in Haß verwandelte. ‹Und doch›, dachte ich, ‹bin dieser Mann, über den ich lache, dieser lächerliche und unwissende junge Mann in anderen Zeiten Ich selbst gewesen. In gewissem Sinne ist er auch noch Ich. In diesen langen Jahren habe ich gelebt, gesehen, gerätselt, gedacht, während er hier geblieben ist, in der Einsamkeit, unberührt, mir gleich, so, wie ich war an jenem Tage, als ich diesen Ort verließ. Nunmehr verachtet mein jetziges mein vergangenes Ich — obgleich ich zu jener Zeit, mehr noch als heute, dachte, der überlegene Mensch, das hohe und edle Wesen, der Allwissende, das wartende Genie zu sein. Und ich erinnere mich, daß ich schon seinerzeit mein vergangenes Ich verachtete, jenes kleine Ich eines unwissenden und ungeläuterten Knaben. Nun verachte ich den, der seinerzeit verachtete. Und alle diese Verächter und Verachteten trugen denselben Namen, wohnten in demselben Körper, sind den Menschen als ein einziges lebendes Wesen erschienen. Nach meinem jetzigen wird sich ein neues Ich bilden, das meine Seele so beurteilen wird, wie ich heute jene gestrige beurteile. Wer wird also Mitleid mit mir haben, wenn nicht ich selbst?› Während ich dies dachte, sprach und deklamierte mein altes Ich. Ich hatte ihm nichts mehr zu sagen und schwieg. Er hatte auch mir nichts mehr zu sagen, doch anstatt zu schweigen, konstruierte er Phrasen und rezitierte fürchterlich lange Gedichte. Was hatten wir eigentlich noch gemein? - Giovanni Papini, Der Spiegel auf der Flucht. Die Bibliothek von Babel Bd. 19, Hg. Jorge Luis Borges. Stuttgart 1984

Wiederbegegnung (3)   Es kommt vor, daß uns ein ungesunder Traum in eine Gegend trägt, wo alles einen knebelt, verrenkt und würgt, weil es aus den Zeiten der Jugend ist — jung, und daher zu alt für uns, zu verschollen und zu unzeitgemäß, und keine Qual kommt der eines solchen Traumes, einer solchen Gegend gleich. Es kann nichts Schrecklicheres geben, als zu Dingen zurückzukehren, denen man entwachsen ist, zu jenen ehemaligen, jugendlichen, unreifen Dingen, die seit langem vergangen und erledigt sind . . . wie zum Beispiel das Problem der Unschuld. Oh, tausendmal klüger sind die, welche einzig der heutigen Problematik leben, der erwachsenen Problematik im besten Alter, und die bereits unaktuell gewordene Probleme alten Tanten überlassen.  - (fer)

Wiederbegegnung (4)

Wiederbegegnung (5) Tamara versuchte, unter das Sweat-Shirt zu greifen, kam aber nicht bis zur Schulter. Als sie die Hand zurückzog, streifte sie seitlich Giselas rechte Brust. Gisela drehte sich zu ihr um, nahm sie an der Hand und führte sie über den mit einem Mal gleißend hellen Flur zum Schlafzimmer. Dort machte sie die Nachttischlampe an und zog ihr Oberteil aus. Tamara drehte ihr auffordernd den Rücken zu, und Gisela öffnete ihr den Reißverschluß. Das Kleid rutschte zu Boden. Im selben Moment löste Tamara ihren Hüfthalter und ließ ihn etwas verlegen hinterherfallen. Immer noch stand sie mit dem Rücken zu Gisela. Gisela hakte den schwarzen Büstenhalter auf. Nun erst drehte sich Tamara zu ihr um. Sie umarmten sich wieder und küßten sich. Ihre Brüste drückten sich gegeneinander. Gisela zog ihre Hose und ihren Slip aus und Tamara ihre Strumpfhose und ihren Slip. Jetzt waren sie vollkommen nackt.

„Warte", sagte Gisela und klappte die beiden Türen des Schlafzimmerschranks zu einem großen Spiegel zusammen. Sie stellten sich davor und betrachteten sich. Tamara hatte mehr Bauch, nicht unbedingt dickere Schenkel, aber einen breiteren Hintern. Gisela blickte neidisch auf die runden und straffen Brüste. Tamara erkannte in der spitzen, ganz von einer Brustwarze überzogenen Brust Giselas ihre eigene natürliche Brust wieder.

Sie ließen sich beide aufs Bett gleiten, küßten und streichelten sich und schliefen miteinander. Beide schauten sie dabei ab und zu kurz und etwas verlegen in den Spiegel. Und eigentlich war es ein sonderbares Bild, das sich ihnen dort bot: Tamara schlief mit einer jüngeren Tamara. Nach über fünfzehn Jahren begegnete ein Körper noch einmal sich selbst in der Zeit. Gisela schlief mit einer Frau, die schon vor ihr existiert hatte und ihr ähnlich sah. Tamara dachte: „So war ich." Gisela dachte: „Wenn ich so werde, in Ordnung. Warum nicht?"  - (blue)

Wiederbegegnung (6)

 

Begegnung Wiederholung

 

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Wiedersehen