Wesen, unbekannte  Der Mensch ist vielleicht nicht das Zentrum, der Zielpunkt des Universums. Man darf vermuten, daß es in der Hierarchie des Lebens noch Wesen über ihm gibt, deren Verhaltensweisen ihm ebenso fremd sind wie seine Verhaltensweisen, sagen wir, der Eintagsfliege oder dem Wal. Nichts stellt sich der Annahme entgegen, daß diese Lebewesen seinen Sinnesorganen völlig unfaßbar sind dank einer Tarnung, wie immer man sich diese auch vorstellen mag - allein die Gestalttheorie und das Studium der tierischen Mimese bieten jedenfalls Anhaltspunkte dafür. Es steht außer Zweifel, daß sich dieser Idee das weiteste Feld der Spekulation eröffnet, wenngleich sie dem Menschen den bescheidenen Platz zur Interpretation seines eigenen Universums anweist, den eine Ameise in den Augen des Kindes einnimmt, das den Ameisenhaufen, in den es soeben getreten ist, von oben betrachtet. Wenn man die Verheerungen eines Zyklons betrachtet, denen der Mensch hilflos als Opfer oder Zuschauer ausgeliefert ist, oder die des Krieges, für die man uns die bis zum Überdruß wiederholten unzureichenden Erklärungen liefert -: dann wäre es nicht unmöglich, in einem breitangelegten, stets zu den kühnsten Folgerungen bereiten Werk der Struktur und Verfassung solch hypothetischer Wesen bis zur Wahrscheinlichkeit nahezukommen, welche sich uns bereits dunkel in der Angst und in der Empfindung des Zufalls bekunden.

Ich glaube darauf hinweisen zu müssen, daß ich hier nicht weit entfernt bin von Novalis' Zeugnis: «Wir leben eigentlich in einem Tiere -, als parasitische Tiere. Die Konstitution dieses Tieres bestimmt die unsrige, et vice versa», und daß ich mich nur in Übereinstimmung befinde mit dem Gedanken von William James: «Wer weiß, ob wir in der Natur nicht einen ebenso kleinen Platz einnehmen neben Wesen, die wir nicht ahnen, wie unsere Katzen und Hunde, die mit uns im Hause leben?» Selbst die Gelehrten widersprechen nicht alle dieser Auffassung: «Um uns treiben vielleicht Wesen, die nach dem gleichen Prinzip wie wir gebaut, aber doch verschieden sind, Menschen zum Beispiel mit rechtsdrehenden Eiweißen.» So Emile Duclaux, ehemaliger Direktor am Institut Pasteur (1840-1904).  - André Breton, Prolegomena zu einem dritten Manifest des Surrealismus oder nicht (1942). Nach: A.B., Die Manifeste des Surrealismus. Reinbek bei Hamburg 1986 (re 434)

Wesen

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